TYRANNISCHE TECHNIK

Hommage für eine Stechuhr

von Markus A. Maesel · 09.05.2008 · 1 Kommentar

Vor zehn Jahren konnte ich die finanziellen Grundlagen für meine Schreiberei bei der Stadtsparkasse Ludwigshafen (heute Sparkasse Vorderpfalz) erarbeiten. Hier erfolgte meine erste Begegnung mit einer Stechuhr, die aufgrund meiner technischen Unbeholfenheit fatal ausfiel. Meine Erfahrungen mit der Zeithäckselmaschine legte ich damals in der Hauszeitschrift des Geldinstituts, „Wir“, nieder. Da mein Verhältnis zu Stechuhren heutzutage nur wenig entspannter ist, stelle ich dieses Psychogramm einer Domina in den digitalen Äther.

„Die Zeit, die du für deine Stechuhr verloren hast, sie macht deine Stechuhr so wichtig“. - Frei nach dem „Kleinen Prinzen” von Antoine de Saint-Exupéry.

Liebe Stechuhr,

endlich finde ich nach vielen Monaten die richtigen Worte und den Mut, um Dir zu schreiben und die besondere Beziehung zu schildern, die ich zu Dir entwickelt habe.

Ich denke noch oft an den Tag, als ich Dir das erste Mal begegnete. Ausgestattet mit einer Plastikkarte der Personalabteilung stand ich hilflos vor Dir und starrte Dich an. Nicht dass ich Dich in diesem Augenblick als besonders erotisch empfunden hätte, als ich Dich zwischen Eingangstür und Fahrstuhl hängen sah, aber fasziniert und beeindruckt war ich von Dir.

Kühl, fast abweisend, strahlte mir Dein weißes Gehäuse entgegen; viele Tasten, besonders die grüne und die blaue, verwirrten mich. Gnadenlos zerschlugst Du die Zeit in Minutentakte. Unnahbar - ähnlich dem Augenaufschlag einer spröden Blondinen - blinktest Du mir GEHEN entgegen. Diesen Wink mit dem Zaunpfahl, dass Du mich als störend empfandest und auf meine Gesellschaft keinen allzu großen Wert legtest, konnte ich nicht übersehen. Über Deine abschätzige Behandlung ärgerte ich mich. „Miststück“, dachte ich. „Schließlich habe ich es nicht nötig, mich aufzudrängen. Es gibt außer Dir noch andere Stechuhren auf dieser Welt, die mit Sicherheit freundlicher sind als Du“. Verstimmt näherte ich mich Dir mit der Karte. Empört hast Du Dich - als wenn ich Dich in die Taille gezwickt hätte - mit BIORHYTHMUS? gemeldet. Dein überhebliches Gepiepse war einfach peinlich, Vor allem fand ich auch Deine Annahme ziemlich eingebildet, dass eine kurze Begegnung mit Dir meinen BIORHYTHMUS durcheinander bringen könnte. „Größenwahn im letzten Stadium?“, fragte ich mich. Warum hieltest Du mich fest, obwohl Du mir mit der Aufforderung GEHEN Deine Abneigung deutlich gemacht hattest? Machte es Dir Spaß, mich als Neuling Deine Macht spüren zu lassen? Was sollten die Leute denken, die inzwischen ungeduldig eine Schlange hinter mir bildeten? Eine barmherzige Seele - Du weißt es sicher noch - half mir mit einem Druck auf die blaue Taste aus dieser unangenehmen Situation. Widerwillig musstest Du KOMMEN signalisieren und ich konnte vor Deiner Willkür in den Fahrstuhl flüchten.

Die folgenden Tage und Wochen hast Du keine Gelegenheit ausgelassen, um mich zu befehden und als kleines Dummerchen vorzuführen. Gekränkte Eitelkeit einer Machthaberin? Du wusstest, dass ich morgens, mittags und nachmittags an Dir vorbei musste und keine Chance hatte, Dir und Deinen Launen zu entrinnen. Jedes Mal, wenn ich schnell mit Herzklopfen und feuchten Händen an Dir vorbeihuschen wollte, dabei kurz in gebührendem Abstand Dich mit der Karte flüchtig grüßte, hast Du mich festgehalten. Meistens hast Du an mir herumgenörgelt, dass ich eine falsche Taste oder gar überhaupt keine gedrückt hätte, und mich wegen Zeitkorrekturen zu Canossagängen in die Personalabteilung geschickt. Einmal bliebst Du sogar mehrere Sekunden auf der Position BITTE WARTEN stehen und hast es genossen, mich auf glühenden Kohlen vor Dir schwitzen zu sehen. Während ich mit hochrotem Kopf auf das Kommen des Fahrstuhls schielte, um Dir zu entweichen, glaubte ich sogar, aus Deinem Innern ein höhnisches Gelächter zu hören.

Danach war ich bei den weiteren Begegnungen mit Dir noch verunsicherter. Ich stolperte nun regelmäßig in Deiner Nähe, bewegte mich ungelenk und machte einfach alles falsch. Meine Tapsigkeit erreichte ihren Höhepunkt, als ich nach einer Mittagspause hektisch versuchte KOMMEN zu stechen und Du einfach nicht reagiertest. Als dann zufälligerweise mein Bruder [ebenfalls Mitarbeiter der Stadtsparkasse] vorbeikam und sagte: „Markus, mit der Telefonkarte geht’s halt nicht“, habe ich mich zu Tode geschämt. Zerstört stand ich vor Dir und versuchte den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken. Du hattest gewonnen. Irgendwie muss diese Situation die guten Seiten in Dir angerührt und Dich besänftigt haben. Vielleicht war es auch nur das herablassende Mitleid des Siegers. Jedenfalls hatte sich Dein gekränktes Ego beruhigt. In Zukunft durfte ich ungeschoren an Dir vorbei. Lange traute ich dem Frieden nicht und sah weiterhin, dass ich schnell an Dir vorbeikam. Langsam merkte ich, dass Du es ernst meintest. Meine Schritte in Deiner Nähe wurden ruhiger und weniger hektisch; ich gewann dank Deiner Großherzigkeit wieder Selbstvertrauen und konnte befreit die Strecke zwischen Tür und Fahrstuhl passieren. Aus der höflich-kritischen Distanz ist inzwischen Sympathie geworden. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, das morgendliche Aufblinken KOMMEN käme einem freundlichen Augenzwinkern gleich.

Ich habe schon überlegt, ob ich Dich zu Schwarzwälder Kirschtorte ins Cafe Laul einladen könnte. Aber ich glaube, dass solche Vertraulichkeiten am Arbeitsplatz nicht gerne gesehen werden. Ich wollte Dir für den neuen Umgang miteinander auch schon persönlich danken. Aber ich habe auch dies bleiben lassen, weil es bei den vorbeigehenden Leuten ziemliches Befremden ausgelöst hätte, wenn ich eine Stechuhr angesprochen hätte. Deswegen habe ich Dir geschrieben, um Dir meinen Dank und meine Sympathie auszudrücken.

Viele herzliche Grüße

Dein Markus A. Maesel

Kategorie(n): Ausgekramtes und Entdecktes, Gesellschaftliches und Wirtschaftliches

1 Beitrag der Leser

  • Helga Moll

    // Jul 9, 2008 at 13:32

    Selbst nach Jahren genauso erfrischend wie damals.
    Gruß Helga

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