MEHDORNIGES

Das Leben in vollen Zügen genießen

von Markus A. Maesel · 16.05.2008 · 1 Kommentar

Freitags nachmittags als Fernpendler von Stuttgart nach Mannheim in einem ICE fahren zu müssen, ist blanker Masochismus. Dabei geht es nur noch um den Kampf, einen erträglichen Stehplatz zu ergattern und die olfaktorische Nähe zu den Zugtoiletten möglichst zu vermeiden. Oft denke ich dann an eine Begebenheit, die ich am Freitag, den 22. November 2002, auf dieser Strecke erlebt, am gleichen Tag noch in meiner Wut niedergeschrieben, aber nie veröffentlicht habe. Da die Geschichte zeitlos ist, hole ich es jetzt nach.


In Stuttgart gibt es Arbeit, im Raum Mannheim-Ludwigshafen ist sie eher Mangelware. Jeden Morgen fahren daher zahllose kurpfälzische Wirtschaftsnomaden, zu denen auch ich gehöre, mit der Bahn in die schwäbische Metropole und abends zurück. Montags bis freitags, bei Kälte und Hitze, bei Regen und Schnee, viele Stunden Weg täglich.

Herr Mehdorn weiß, dass die Pendler zur Bahn keine wirkliche Alternative haben und somit eine wehrlose Einnahmequelle darstellen. Ein Leichtes daher, ihnen die preiswerteren Interregios zu streichen und sie auf die teuren ICE zu verweisen. Dort drängen sich nun die kurpfälzischen Fremdenlegionäre und müssen zunehmend auf der Rückfahrt mit Stehplätzen vorliebnehmen. “Selbst schuld”, könnte nun Herr Mehdorn, der allmächtige Herrscher über das deutsche Bahnimperium, sagen. Schließlich kann sich jeder gegen Aufpreis einen Sitzplatz reservieren lassen. Aber von den Kosten einmal abgesehen - welcher Arbeitnehmer kann es sich in einer schwäbischen Firma erlauben, wegen einer Platzreservierung mitten in seiner Tätigkeit einfach den Stift oder Hammer fallen zu lassen? Bleibt letztendlich doch nur das Stehen in den Fluren der ICE. Glücklich der Pendler, der besonders freitags nachmittags noch einen Stehplatz ergattert, bei dem er seinen müden Rücken an die Wand lehnen darf.

Es ist ein solcher Freitagnachmittag. Ich bin froh, dass ich an der Ausgangstür zwischen Speisewagen und erster Klasse einen solchen Platz ergattert habe. Zwei Bundeswehrsoldaten, die auf dem Boden sitzen, teilen dieses Glück. Von der ersten Klasse sind wir durch die automatische Glasschiebetür abgetrennt. Da kommt ein Herr in akkurater blauer Uniform mit Schirmmütze. Die rote Armbinde weist ihn als wichtigeren Vertreter der Schaffnerszunft aus. Ein erster Blick lässt den Typ “schwäbischer Kehrwoche-Pedant” vermuten. Und dieses Image enttäuscht er auch nicht. Das Niemandsland, auf dem ich stehe und mit dem Rücken an die Wand lehne, wertet er als Erste-Klasse-Bereich. Der eine Soldat wagt es, dem Herrn mit der roten Armbinde zu sagen, dass unsere Sitz- oder Stehposition eigentlich eher der dritten Klasse entspräche. Doch der feinfühlige Pedant, der den Stützen der Gesellschaft in der ersten Klasse unseren Anblick durch die Glastür ersparen möchte, fordert uns auf, unser Refugium zu verlassen oder für die erste Klasse zu bezahlen. Erste Klasse für das Niemandsland auf dem Flur zwischen Zugausgang, Speisewagen und der Glastür, durch die der Weg zu den wichtigen Leuten in den Polstersesseln führt. In einem Zug, in dem die Flure schon voll mit Menschen sind. Wir weichen diesem verspäteten Apartheid-Mystiker. Die mehdornige Stimme seines Herrn erfüllt wahrscheinlich auch nur übereifrig seine Pflicht. Schließlich muss ich dankbar sein, dass Herr Mehdorn in seinem Allerbarmen mich als kurpfälzische “Milchkanne” überhaupt noch in Mannheim abholt und wieder zurückbringt.

Der ICE hält in Mannheim. Ich steige aus einem Zweite-Klasse-Niemandsland aus. Auf dem Bahnsteig steht neben der Zugtür wieder der pflichtbewusste Herr in blauer Uniform mit roter Armbinde. Freudig kräht er uns im Sekundenabstand hinterher: “Aufwiedersääähn, Aufwiedersääähn, Aufwiedersääähn”. Ich befürchte, dass er recht behält.

Kategorie(n): Ausgekramtes und Entdecktes, Kurpfälzisches und Südwestdeutsches, Mobiles und Zugiges

1 Beitrag der Leser

  • Sumatrajan

    // Jun 1, 2008 at 10:03

    ein Leidgeprüfter. Wie wird das erst jetzt werden, wenn die Spritpreise weiter steigen und die ICE-Tickets, nach einer Privatisierung der Bahn, sich an die Ölpreise binden?
    Verlage in die Kurpfalz!!!!!!

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