VERWESENDES

“Ludwig H. Rinnstein ist tot” …

von Markus A. Maesel · 04.06.2008 · 1 Kommentar

… so lautete letztes Jahr die Ausschreibung eines Literaturwettbewerbs des „Literarischen Atriums (Literatrium) der Meister-Akademie für Künste und Wissenschaften zu Husum“. Einzureichen waren fiktive Nachrufe auf den genannten Verblichenen. Wie sich jedoch bald herausstellte, war die eigentliche Leiche, die hätte besungen werden müssen, das „Literatrium“ selbst. Denn von diesen Musenfreunden aus der grauen Stadt am Meer war nie wieder etwas zu hören. In einem Autorenforum ist gar von dubiosen Praktiken die Rede. Mein Ludwig H. Rinnstein ruht seitdem auf einem orangefarbenen USB-Stick – unerlöst und nicht gewürdigt. Für mich war er ein Mensch, von dem es in den Vorstädten mindestens einen in jeder Straße gibt. Ich begrabe ihn hiermit im digitalen Nirwana und empfehle ihn dem Totengedenken der Internet-Gemeinde. Bitte keine Kränze und Blumen in der Kommentarfunktion ablegen.

Ludwig H. Rinnstein ist tot

Mit Ludwig H. Rinnsteins Dahinscheiden hat ein untoter Toter endlich sein Leben gefunden. Denn irdische Freuden und Schwächen waren ihm Last, Gräuel und Qual. Das Leben meinte es schon früh schlecht mit ihm und stellte ihm eine Frau zur Seite, die sein Bedürfnis nach pedantischer Sauberkeit, seine Sehnsucht nach absoluter Ruhe und seine Aversion gegen Alltagsgerüche teilte und förderte. Kinder hatten sie keine, denn libidinöse Aufwallungen hätten das immer starrweiße, totenbleich gestärkte Bettlaken entweiht. Dagegen hing Rinnsteins Ohr immer an der Wand, wenn im Nachbarhaus die Bettfedern sich zu Rhapsodien wilder Lust aufschaukelten. Für ihn war das Eros ohne Flecken.

Wenn die Außenwelt mit ihren Geräuschen und Gerüchen in seine Reihenhaus-Grabkammer eindrang, schlug er laut tobend alle Fenster zu. Das Kläffen der Hunde aus den angrenzenden Gärten, das Lachen spielender Kinder auf der Straße; Kreuzkümmelduft, der sattgelben Currytöpfen entwich; mediterrane Basilikum- und Knoblauchfahnen sowie beschaulich aufsteigende Rauchkringel aus sanftbraunen Havannazigarren durften ihn nicht erreichen und nicht verstören.

Nur schwer ertragen konnte Rinnstein, wenn sich die Bäume im Herbst ihres welken Laubes entledigten, um als braune Skelette in der nebligen, feuchtkalten Novemberlandschaft zu stehen. Dann kehrte er morgens hingebungsvoll den Moder vergehenden Seins auf dem Bürgersteig zusammen und hastete nachmittags jedem weiteren herabfallenden Blatt mit Handfeger und Schaufel – den Insignien seiner irdischen Macht - hinterher. Der Tod konnte ihm nur den Besen aus der Hand nehmen, nicht das Leben.

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Makaberes und Skurriles

1 Beitrag der Leser

  • Helga Moll

    // Jul 9, 2008 at 13:23

    Wohnte dieser Rinnstein vielleicht in der Gartenstadt?
    Gruß Helga

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