ERLEUCHTETES

Und Buddha schweigt

von Markus A. Maesel · 11.06.2008 · 5 Kommentare

Seit einem Jahr sitzt ein Buddha in meinem Garten, auf einem Podest aus zwei alten Backsteinen. Er ruht, die Beine im Lotussitz verschränkt und die Hände ineinander gelegt, im Schatten eines Feigenbaumes, der im milden Klima der Vorderpfalz sein tiefgrünes Laub entfaltet. Von meiner Konfessionszugehörigkeit her hätte ich eigentlich eine Lourdesgrotte in meinem Reihenhausgärtchen errichten müssen. Doch das ist eine Platz- und Geldfrage. Und da hatte der Kunstharz-Buddha aus dem Quelle-Katalog, als detailverliebte Anfertigung, hagelfest und witterungsbeständig angepriesen, einfach die besseren Karten.

Entrückt, mit fast geschlossenen Augen, verweist der sensible Asiate mit einem leisen, unergründlichen Lächeln auf eine Welt jenseits von Hektik und Alltagssorgen. Deshalb ist er für mich mehr als die intellektuellere Antwort auf den Gartenzwerg im deutschen Kleingarten. Auf der Veranda rücke ich mir einen Plastikstuhl so zurecht, dass ich den Erleuchteten im Blickfeld habe. Von ihm geht Ruhe aus, die mich erfasst. Schweigend lächelt er mir seine Botschaft entgegen: „Das Leben ist ein langer Todeskampf, es ist nichts als Leid“. Sanft bewegt ein Luftzug die Blätter des Feigenbaumes, und weht mir seine weitere Analyse zu, dass alles Leid aus dem „Durst“ – der Begehrlichkeit – entstehe. Der Mensch hänge sich an Schatten, stütze sich auf ein falsches Ich und richte sich in einer bloß eingebildeten Welt ein. Wenn der Mensch sterbe, sei er durch den Trank der Begehrlichkeit vergiftet und werde daher wiedergeboren, um neu zu leiden. Der Absprung vom Rad der Wiedergeburt gelinge nur, wenn der Mensch alle Wünsche und Leidenschaften aus seinem Herzen verjage.

Erleuchtung im Reihenhausgarten

Foto: M. Maesel, bearb. v. C. Rüter

Ergriffen von den Worten des großen Weltentsagers schreite ich zur inneren Reinigung. Gerade malträtiert eines meiner Kinder mit einem Rohrstock die rotblühende Clematis, die sich seit Jahren mühsam Stück für Stück an der Wäschestange hochrankt. Ich belaste mein Karma, das Punktekreditsystem für den Eintritt in das Nirwana, nicht mit einem Zornesausbruch. Lächelnd löse ich mich in Transzendenz auf; schweigend und gleichmütig erkenne ich, dass die Kletterblume früher oder später sowieso vergangen wäre. Bei meiner weiteren Innenschau treffe ich auf unerfüllte Karrierewünsche, die an Seele und Magenschleimhaut nagen. Doch mein erhabenes Gegenüber lehrt mich auch hier, dass in Wirklichkeit der leitende ein leidender Angestellter ist – vergiftet durch den Trank der Begierde, ohne Hoffnung auf Erlösung, verdammt zur Wiedergeburt.

Die Sonne brennt unbarmherzig auf den Garten herab und treibt mir Schweißperlen auf die Stirn. Meine austrocknenden Pfälzer Gene schreien reflexartig und begehrlich nach einem lindernden Weinschorle. Das Lächeln des Buddha wirkt sofort ernster, fast eingefroren. Ich bin im Begriff, wertvolle Karmapunkte zu verspielen. Selbst der Gekreuzigte durfte sich in der Mittagshitze an einem Essigschwamm erlaben, wende ich ein. Und hat der Wanderprediger aus Nazareth nicht mit Freunden und Sündern gemeinsam gefeiert, geschlemmt und getrunken, ohne dabei gleich das Himmelreich aufs Spiel zu setzen? Nein, gegen den das Karma gefährdenden Durst der Begierde nach kühlendem, erquickendem Nass aus den Weinbergen meiner pfälzischen Heimat komme ich nicht an. Ich will löschen und nicht verlöschen. Auch, oh Erleuchteter, vertrage ich nicht das ständige Drehen des Rades der Wiedergeburt, da ich nicht schwindelfrei bin. Schon deswegen bleibe ich lieber katholisch. Inzwischen hat der Buddha wieder zu seinem entrückten Lächeln gefunden, das leidvolle Samsara in meinem Kleingarten hinter sich lassend. Und er schweigt.

Kategorie(n): Heiliges und Unheiliges, Kurpfälzisches und Südwestdeutsches

5 Beiträge der Leser

  • Reddisch

    // Jun 11, 2008 at 07:48

    Lieber Markus, ich habe mit großem Vergnügen deine kurzweiligen Gedanken gelesen. Super, Kompliment, ich habe sehr viel über mein Karma erfahren und die Wiedergeburt ist mir sicher :–)). Weiter so.
    Lieben Gruss Reddisch

  • Helga Moll

    // Jun 11, 2008 at 17:49

    Lieber Markus,
    wie immer KÖÖÖÖSTLICH, Buddha möge es Dir verzeihen.
    Liebe Grüße
    Helga

  • Anne Bünger

    // Jun 12, 2008 at 18:10

    Grade aus Italien heimgekommen habe ich Deine Buddha-Meditation gelesen und herzlich lachen und miteinstimmen können in Deine pfälzischen Gefühle. -Typisch Markus, wie ich ihn gern hab’!

    Vorerst bleiben wir also doch lieber katholisch.

    Liebe Grüße
    Anne

  • Jens Fischer

    // Jun 23, 2008 at 14:15

    Durchweg gelungen.

    Gruß

    Jens

  • Markus A. Maesel

    // Apr 9, 2014 at 19:21

    Die Kurzgeschichte ist am 9. April 2014 in einer von mir leicht überarbeiteten Fassung in der Tageszeitung “Die Rheinpfalz”, Marktplatz LU auf der 4. Seite erschienen:

    Und Buddha schweigt
    Gartenstädtische Gartengeschichte – von Markus A. Maesel

    Seit ein paar Jahren sitzt ein Buddha in meinem Garten, auf einem Podest aus zwei alten Backsteinen. Er ruht, die Beine im Lotussitz verschränkt und die Hände ineinander gelegt, im Schatten eines Feigenbaumes, der im milden Klima der Vorderpfalz sein tiefgrünes Laub entfaltet. Von meiner Konfessionszugehörigkeit her hätte ich eigentlich eine Lourdesgrotte in meinem Reihenhausgärtchen errichten müssen. Doch das ist eine Platz- und Geldfrage. Und da hatte der Kunstharz-Buddha aus dem Versandhauskatalog, als detailverliebte Anfertigung, hagelfest und witterungsbeständig angepriesen, einfach die besseren Karten.
    Entrückt, mit fast geschlossenen Augen, verweist der sensible Asiate mit einem leisen, unergründlichen Lächeln auf eine Welt jenseits von Hektik und Alltagssorgen. Auf der Veranda rücke ich mir einen Plastikstuhl so zurecht, dass ich den Erleuchteten im Blickfeld habe. Von ihm geht Ruhe aus, die mich erfasst. Schweigend lächelt er mir seine Botschaft entgegen: „Das Leben ist ein langer Todeskampf, es ist nichts als Leid“. Sanft bewegt ein Luftzug die Blätter des Feigenbaumes, und weht mir seine weitere Analyse zu, dass alles Leid aus dem „Durst“ – der Begehrlichkeit – entstehe. Der Mensch hänge sich an Schatten, stütze sich auf ein falsches Ich und richte sich in einer bloß eingebildeten Welt ein. Wenn der Mensch sterbe, sei er durch den Trank der Begehrlichkeit vergiftet und werde daher wiedergeboren, um neu zu leiden. Der Absprung vom Rad der Wiedergeburt gelinge nur, wenn der Mensch alle Wünsche und Leidenschaften aus seinem Herzen verjage.
    Ergriffen von den Worten des großen Weltentsagers schreite ich zur inneren Reinigung. Gerade malträtiert eines meiner Kinder mit einem Rohrstock die rotblühende Clematis, die sich seit Jahren mühsam Stück für Stück an der Wäschestange hochrankt. Ich belaste mein Karma, das Punktekreditsystem für den Eintritt in das Nirwana, nicht mit einem Zornesausbruch. Lächelnd löse ich mich in Transzendenz auf; schweigend und gleichmütig erkenne ich, dass die Kletterblume früher oder später sowieso vergangen wäre. Bei meiner weiteren Innenschau treffe ich auf unerfüllte Karrierewünsche. Doch mein erhabenes Gegenüber lehrt mich auch hier, dass in Wirklichkeit der leitende ein leidender Angestellter ist – vergiftet durch den Trank der Begierde, ohne Hoffnung auf Erlösung, verdammt zur Wiedergeburt.
    Die Sonne brennt unbarmherzig auf den Garten herab und treibt mir Schweißperlen auf die Stirn. Meine austrocknenden Pfälzer Gene schreien reflexartig und begehrlich nach einer lindernden Weinschorle. Das Lächeln des Buddha wirkt sofort ernster, fast eingefroren. Ich bin im Begriff, wertvolle Karmapunkte zu verspielen. Selbst der Gekreuzigte durfte sich in der Mittagshitze an einem Essigschwamm erlaben, wende ich ein. Und hat der Wanderprediger aus Nazareth nicht mit Freunden und Sündern gemeinsam gefeiert, geschlemmt und getrunken, ohne dabei gleich das Himmelreich aufs Spiel zu setzen? Nein, gegen den das Karma gefährdenden Durst der Begierde nach kühlendem, erquickendem Nass aus den Weinbergen meiner pfälzischen Heimat komme ich nicht an. Ich will löschen und nicht verlöschen. Auch, oh Erleuchteter, vertrage ich nicht das ständige Drehen des Rades der Wiedergeburt, da ich nicht schwindelfrei bin. Schon deswegen bleibe ich lieber bei meiner Religion. Inzwischen hat der Buddha wieder zu seinem entrückten Lächeln gefunden, das leidvolle Samsara in meinem Kleingarten hinter sich lassend. Und er schweigt.

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