TROPISCHE FIEBERTRÄUME (1)

Walkürenritt

von Markus A. Maesel · 15.07.2008 · 2 Kommentare

Sie sind der geborene Globetrotter, der es verdient, den wilden Dschungeln Südostasiens ihre Abenteuer und Geheimnisse zu entlocken? Sie sind auserwählt, die immergrünen Regenwälder als unerschöpfliche Datenbank für Ihr Jägerlatein an kalten, nebligen Novembertagen zu nutzen? Doch widrige finanzielle Umstände halten Sie davon ab, im Urlaub Ihr Menschenrecht auf Tropen einzulösen? Sie erleiden stattdessen Ihre Ferientage in Balkonien, Gartenien, Terrassien oder Verandien? Die Vorstadt hat Sie unwiderruflich und gnadenlos fest in ihren Klauen? Verzweifeln Sie nicht – bringen Sie einfach die Tropen und ihre Abenteuer in die Vorstadt!

Stellen Sie zunächst Ihre Terrasse zu mit Yuccapalmen, Benjaminibäumchen,  Zierbananen, rote Hibisken und mit allem, was exotisch wirkt. Füllen Sie die Untersetzer der Pflanzen randvoll mit Wasser, damit eine dämpfige Schwüle aufsteigen kann. Lassen Sie mit Genugtuung den Blick über Ihr Klein-Vietnam schweifen. Und die Abenteuer?

Hinter der Hecke raschelt es verdächtig. Sie greifen instinktiv nach Ihrer altbewährten, eingedellten Machete. Stellen Sie sich vor, der Vietkong lauert dort im Gestrüpp blutrünstig auf Sie. Dabei spielt es keine Rolle, dass es in Wirklichkeit nur die gelangweilte Nachbarin ist, die auf einen Grund zum Loskeifen wartet. Bitte betrachten Sie jetzt nicht den Hochdruckreiniger als Flammenwerfer. Und rufen Sie auch bloß nicht die Bundesluftwaffe an, dass sie Sie mit einem Napalmteppich unterstützen möge – Sie machen sich nur lächerlich.

Regen Sie stattdessen Ihre Fantasie noch stärker an. Gerade hören Sie die Rotorblätter eines Rettungshubschraubers die Luft aufwühlen. Rennen Sie schnell zum CD-Player und legen Sie Richard Wagners Walkürenritt ein. Lieutenant Colonel Bill Kilgore und seine Luftkavallerie werden Sie in diesem dramatischsten Moment Ihres Lebens nicht mit Victor Charlie alleine lassen. Haben Sie schon den Mekong-Whiskey für die Begrüßung aus dem Schrank geholt? Und das Surfbrett bereit gelegt? Gleich werden die Kufen von Kilgores Helikopter neben dem Zierbuddha in Ihrem Kleingarten aufsetzen. Er wird aussteigen, entzückt die Abgase des heulenden Benzinrasenmähers aus einem der angrenzenden Gärten einatmen und seinen legendären Spruch nur für Sie wiederholen: „Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen, das riecht irgendwie nach … Sieg“.

Doch plötzlich wird Ihre Fantasie schwächer. Der Hubschrauber sieht nun nicht mehr olivgrün, sondern grellorange aus, und fliegt in Richtung Unfallklinik davon. Das Gekeife der Nachbarin gegen die Lautstärke des Walkürenritts dringt zudem in Ihr Ohr - das ist kein Vietnamesisch. Verärgert beißen Sie die Spitze einer Zigarre ab, die gleich für weitere Hasstiraden aus Nachbarins Garten sorgen wird. Sie sitzen wie Colonel Walter E. Kurtz in Ihrem kleinen, vorstädtischen Tropenreich und sind trotz allem ganz froh, dass die Apocalypse nicht Now ist. Und dass der durchgedrehte Dschungeldiktator Kurtz in Ihnen sich nicht in der tropischen Wirklichkeit austoben darf.

[Bei Wikipedia lassen sich verschüttet gegangene Kenntnisse über die Handlung von „Apocalypse Now“ wieder auffrischen].

Kategorie(n): Geschichtliches und Völkerkundliches, Makaberes und Skurriles, Serielles und Fortgesetztes

2 Beiträge der Leser

  • Helga Moll

    // Jul 20, 2008 at 14:10

    Interessant erzählt, für mich aber irgendwie beängstigend, wie alles, was mit Krieg und Töten zusammenhängt. Grüße Helga

  • Moni

    // Mai 30, 2011 at 11:30

    .. und in der Realität lieg ich in Vietnam am Strand, die Zweitakter machen einen Lärm wie die Rasenmäher der Nachbarn und der Krieg ist Gott sei Dank schon ganz lange vorbei :-))))

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