STUTTGART 007

Schlanke Wirtschaftsspionage

von Markus A. Maesel · 18.08.2008 · 2 Kommentare

Wirtschaftsspion, der Sie sich in Washington, Tokio oder Paris auf Ihren Einsatz in Deutschland vorbereiten; Spionageleiter in Moskau, der Sie wieder einmal überlegen, wen in welchem deutschen Konzern Sie mit viel Geld gesprächig machen müssen; Werkstudent aus Peking, der Sie sich durch irgendwelche Industriepraktika quälen, um an entsprechende Informationen zu gelangen – Sie machen das alles viel zu kompliziert!

Packen Sie sofort Ihre Koffer und kommen Sie unverzüglich nach Stuttgart mit seinem florierenden Wirtschaftsleben und seinen innovativen Unternehmen. Bestaunen Sie, was schwäbischer Gewerbefleiß alles hervorbringt. Stellen Sie fest, dass schwäbischer Arbeitseifer eine für Sie günstige Kehrseite hat – denn der Wirtschaftsschwabe kann auch nach der Arbeit von der Arbeit nicht abschalten. Er ist immer im Dienst - „Ich arbeite, also bin ich“ ist seine Daseinsberechtigung.

Kaufen Sie sich deshalb einen Fahrschein für das Stuttgarter Verkehrsnetz und kreuzen Sie während des Berufsverkehrs in U-Bahnen und Bussen durch die Stadt. Für Ihre Arbeit brauchen Sie nicht einmal Elefantenohren. Lautstark werden Sie hören, wie pflichtbewusste Angestellte über das Wohl, den Zustand und die laufenden Projekte ihrer Firma nachsinnen. Problemlösungen werden gleich in der U-Bahn erarbeitet und gegebenenfalls sofort über das Handy an den Arbeitsplatz weitergeleitet.

Besonders Angehörige von IT-Berufen lieben es, sich mit lockerer, elitärer Eitelkeit Sequenzen ihrer aktuellen Arbeit in mysteriösen Fachbegriffen und Programmiersprachen gegenseitig um die Ohren zu hauen. Dabei lassen sie Kontrollblicke über die Mitreisenden schweifen, um festzustellen, ob sie in ihrer Genialität von diesen auch wahrgenommen werden. Hier liegt Ihre Chance als Spion, zu einem zweiten Guillaume aufzusteigen. Erwidern Sie lediglich die Blicke mit Bewunderung und die IT-Spezialisten werden, um Sie noch mehr zu beeindrucken, nun richtig auspacken. Die Rad schlagende Pfauengruppe wird nicht im Entferntesten daran denken, dass der Feind mithört und Sie ihr Metzger sind.

Das Geplapper dieser Informationswasserfälle müssen Sie dann nur noch in Ihr Aufzeichnungsgerät fließen lassen. Als Agent alter Schule werden Sie sich mit Ihren sauer erarbeiteten Methoden dabei ziemlich überflüssig vorkommen. Das waren noch Zeiten im Kalten Krieg. Trotzdem gehört in einer Zeit, in der Niedrigpreise für Dienstleistungen unseren Planeten regieren, der schlanken Wirtschaftsspionage die Zukunft. Und in Stuttgart liegen die Geheimnisse kostenlos in der U-Bahn brach. Also frei nach Ernst Reuter: Spione der Welt, schaut auf diese Stadt!

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Kurpfälzisches und Südwestdeutsches, Mobiles und Zugiges

2 Beiträge der Leser

  • Reddisch

    // Aug 19, 2008 at 10:44

    Wie immer vortrefflich formuliert. Macht immer riesigen Spaß zu lesen. Weiter so.

  • Helga Moll

    // Aug 24, 2008 at 14:36

    Hallo Markus,
    wie wäre es, dieses Wissen zu ver- oder entwerten? Das sind wohl männliche Spezies, die es nötig haben, solch ein Rad zu schlagen.
    Es macht immer wieder Freude, Deine Artikel zu lesen.
    Gruß Helga

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