GUTMENSCHLICHE PLATZVERWEISE

Freundlicher Afrikaner

von Markus A. Maesel · 02.09.2008 · 6 Kommentare

Nach den „Zehn kleinen Negerlein“, Mohrenköpfen und Negerküssen ist nun auch der freundlich nickende Afrikaner aus meiner Kindheit als finsteres, rassistisches Relikt der Kolonialzeit entlarvt worden. Das musste ich aus einem Beitrag des Spiegel-Sonderhefts „Afrika“ erfahren. Offiziell handelt es sich bei meinem nickenden Afrikaner um eine „Missionssammelbüchse mit Mechanik“, im schwäbischen Volksmund soll er auch „Nicknegerle“ oder „Missionsneger“ heißen. Als „armer Heide“ fördere er mit „schüchtern-devotem“ Lächeln das „Überlegenheitsgefühl“ missionseifriger Europäer, so lautete das Verdikt. Deshalb bekämpfen ihn Antirassismus-Gruppen als Accessoire deutscher Weihnachtskrippen.

Wie unterschiedlich Betrachtungsweisen doch sein können. Für mich war als Kind das „Negerle“ – wie der freundlich nickende Afrikaner bei uns genannt wurde - ein erstes, großes Tor zur Welt. Als Spross einer Arbeiter- und Angestelltenfamilie war es für mich während der 60er Jahre in der Gartenstadt, einem Arbeiterstadtteil der Chemiestadt Ludwigshafen, nicht einfach, die große, weite und bunte Welt zu entdecken. In dem grünen Vorort verlief alles in festen Bahnen. Die dominierenden „Sozis“ trafen sich im Volkshaus, die Gottesfürchtigen sammelten sich in den Unterkirchen ihrer Pfarreien. Gesellschaftlicher Höhepunkt im Stadtteil bildete das jährliche Blumenfest mit seinem Umzug. Ansonsten gingen die Menschen des Vorortes gemeinsam, über die Weltanschauungen hinweg, in der „Anilin“ – der BASF – ihrer Arbeit nach. Die sonntäglichen Spaziergänge erfolgten im Maudacher Bruch, um ein Gewässer namens „Große Blies“ oder auf dem Mundenheimer Friedhof. Letzterer bildete im Regelfall den Schlusspunkt einer anständigen gartenstädtischen Existenz. Die Gartenstädter waren in ihrer geordneten, überschaubaren, sich selbst genügenden kleinen Welt geborgen, in der Abweichungen und Fernweh jedoch nicht vorgesehen waren.

Doch da war in der Weihnachtszeit die Krippe in der Pfarrkirche Sankt Bonifaz. Nach dem sonntäglichen Gottesdienst ging ich mit meinen Eltern vor zu ihr an den Seitenaltar. Aber es war eigentlich nicht das Figurenensemble der Heiligen Familie, in einer anmutigen südländischen Landschaft eingebettet, welches mich anzog. Vielmehr war es der kleine Afrikaner, der mit rotem Umhang auf einer Sammelbüchse saß. Immer nickte er mir freundlich zu, wenn ich einen Teil meines Taschengeldes in den Schlitz der Büchse warf. Er wusste es offenbar zu schätzen, dass ich meine Ersparnisse mit ihm teilte.

Es war der erste schwarze Mensch, den ich in meinem Leben sah, und er machte mich neugierig auf die bunte Welt jenseits der monotonen und melancholischen Vorstadt. Sein Nicken war eine Ermunterung, meinen eigenen Weg zu gehen. Auf ihn geht mein Drang nach exotischen Gefilden zurück. Sicherlich ist er mitverantwortlich, dass ich große Teile meines Studiums in Heidelberg der außereuropäischen Geschichte und der Völkerkunde widmete. Vielleicht war er auch in meinem Unterbewusstsein stiller, zustimmend nickender Trauzeuge, als ich eine farbige Frau heiratete.

Inzwischen darf auch mein freundlich nickender Wegebegleiter nicht mehr an der Weihnachtskrippe in Sankt Bonifaz sitzen. Selbst hier hatte sich wohl herumgesprochen, dass das „Nicknegerle“ kleine Kinder zum Rassismus verleite. Zuerst malte man ihm das Gesicht weiß an, dann wurde es ganz durch eine Sammelbüchse in Form einer Erdkugel ersetzt.

Manchmal frage ich mich, ob die Vertreibung der kleinen Afrikaner von deutschen Weihnachtskrippen nicht eine Form der Apartheid ist. Eine Rassentrennung, vollzogen durch überdreht antirassistische Gutmenschen.

[Meine Ausführungen und die verwendeten Zitate beziehen sich auf Ute Planert: Unverhoffte Früchte. In: Spiegel Special Geschichte Nr. 2/2007 „Afrika“, S. 50-56. Planerts Artikel findet sich auch bei Spiegel Online als reiner Text und als PDF.]

 

Kategorie(n): Geschichtliches und Völkerkundliches, Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Heiliges und Unheiliges, Kurpfälzisches und Südwestdeutsches

6 Beiträge der Leser

  • Peter Beerhalter

    // Sep 2, 2008 at 08:34

    Lieber Dr. Maesel,

    da haben unsere dauerbetroffenen, friedensbewegten und beständig schwere “Trauerarbeit” leistenden Kerzen-in-die-Fenster-Steller mal wieder einen Sieg errungen. SO wird die Welt gerechter, jawoll !

    Nicht gerade ersticken sollen sie, diese weltfremden Scheinheiligen, aber ein kleiner Krampfhusten beim politisch korrekten Verzehr eines Sinti- oder Romaschnitzels wäre durchaus wünschenswert.

    Ein sehr schöner und vor allem nachdenklich stimmender Beitrag auf Ihrer Plattform. Weiter so !

  • Anne Bünger

    // Sep 2, 2008 at 11:12

    Danke, Markus!

    Der Beitrag hat mir mal wieder aus dem Herzen gesprochen. Übrigens, der Kommentar von Peter Beerhalter auch.
    Seinen frommen Wünschen kann ich mich gerne anschließen.

    Gruß Anne

  • Anne Bünger

    // Sep 3, 2008 at 08:07

    Hallo Anne,
    danke für den tollen Artikel!
    Auch mich hat der kleine Schwarze an der Krippe immer fasziniert.
    Ebenso das Jesuskind an der Krippe im Magdalenen-Kloster in Speyer, das, wenn der Zehner im Kasten war, bei fromm-krächzender Tür aus seiner Kapelle kam und segnete, und dann wieder in der Kapelle verschwand.
    Der kleine schwarze “Krippen-Neger” ist wieder in den Katalogen drin!
    Einen schönen Tag!
    Karlheinz

  • Helga Moll

    // Sep 21, 2008 at 15:47

    Hallo Markus,
    ich kann mich nur Anne Bünger anschließen.
    Gruß Helga

  • Achim Schmühl

    // Jan 18, 2009 at 12:50

    Wenn Leute sonst keine Sorgen haben…
    Die Nick-Neger sollten lediglich für die Mission sammeln und waren nicht rassistisch gedacht. Neger wurden sie zu der Zeit halt nach der Lateinischen Übersetzung für Schwarzer genannt. Dann ist wohl damit zu rechnen das Dosen bald in “Dank Attestierende Sammelbüchse mit Mensch anderer Hautfarbe” umbenannt werden und das bezeichnen mit Nick-Neger ein Sakrileg ist.

  • Markus A. Maesel

    // Mai 29, 2015 at 11:31

    Die Online-Ausgabe der Wochenzeitung “Der Freitag” greift auf meinen Beitrag zurück:
    https://www.freitag.de/autoren/achtermann/nick-oder-missionsneger

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