UNTERHALB DES TELLERRANDS

Kampf in urdeutschen Biotopen

von Markus A. Maesel · 01.10.2008 · 0 Kommentare

Deutschland ist gegenwärtig in zwei Guerillakriege verstrickt. Zum einen am Hindukusch, wo es seine Freiheit verteidigt; zum anderen in seinen Hausgärten und Kleingartenanlagen, wo jeder seinen „Lebensraum“ gegen böse, imperialistische Nachbarn behauptet. Schollengebundenheit sowie „Blut und Boden“ waren vielen Deutschen schon immer wichtiger als die universelle Freude an blühenden Blumen und grünenden Bäumen. Letzte Woche fielen in Gifhorn wieder drei Kleingärtner im Nahkampf gegen ihren waffentechnisch besser gerüsteten Nachbarn. Konflikte, in denen der Knallerbsenstrauch zur Tretmine und Stefan Raabs „Maschen-Draht-Zaun“ zum letzten Zapfenstreich wird.

Wie friedlich könnte es auf der Erde zugehen, wenn sich Bäume, Sträucher und Hecken an die im Grundbuch eingetragenen Gartengrenzen halten würden. Im Wohnzimmer statt im Garten zu grillen, wäre ebenfalls ein elementarer Beitrag zum Weltfrieden. Und gar die lärmenden Kinder in ihren Sandkästen und Planschbecken – ließen sich diese nicht nach dem Vorbild unserer österreichischen Nachbarn einfach in den Keller wegsperren? Generell sollte im Garten auf jede verbale Artikulation verzichtet werden, denn Friedhofsruhe ist wahrer Frieden. Oder hat schon jemand die Bewohner von Père Lachaise streiten gesehen? Chloroformierender Chlorophyllfaschismus gibt ruhigen, unbeschwerten Gartenfreuden erst ihre Struktur.

Im Zuge der Gifhorner Ereignisse habe ich eine kleine, bereits über ein Jahr alte Zeitungsmeldung ausgekramt. Damals hatte in Oberschwaben ein Rentner seinem Drang nach freier Sicht zum Durchbruch verholfen, indem er Bäume auf dem Nachbargrundstück mit „Agent Orange“ bekämpfte. Mit der dioxinhaltigen Chemikalie entlaubten die Amerikaner im Vietnamkrieg aus der Luft die Wälder des Landes, um dem vorrückenden Vietkong die Deckung zu nehmen. Zeitweise wurde das hochgiftige, die Erbsubstanz schädigende Mittel auch in der deutschen Forstwirtschaft eingesetzt. Brauchte der Pensionär etwa den freien Blick, um dem Einfall frommer Pietkongs, wie oft die Pietisten Württembergs spöttisch bezeichnet werden, in das katholische Oberschwaben rechtzeitig begegnen zu können? Oder fürchtete er gar, die zweite Welle der proletarischen Weltrevolution könnte ihn unvorbereitet überrollen? Gut, dass nicht Menschen vom Schlage Paris Hiltons auf seine Flasche mit „Agent Orange“ gestoßen sind. Sie hätten es womöglich für ein Kosmetikum gegen Orangenhaut gehalten.

[Vgl. Südwest Presse – Schwäbische Donauzeitung, Ulm–Stadt Nr. 212 vom 13. September 2007, S. 12.]

Kategorie(n): Ausgekramtes und Entdecktes, Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Kurpfälzisches und Südwestdeutsches, Makaberes und Skurriles, Tierisches und Pflanzliches

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