BERUFSPERSPEKTIVE

Ziereremit

von Markus A. Maesel · 22.10.2008 · 2 Kommentare

Berufe kommen und gehen. Bei manchen vergangenen Berufen ist nicht einmal die Erinnerung geblieben. Wer kennt beispielsweise noch den Leichenporträtfotografen, von dessen Existenz noch Relikte im Wiener Bestattungsmuseum zeugen? Wer kann sich in kommenden Generationen noch etwas unter einem klassischen Buchdrucker vorstellen? Oder wer kennt noch den Ziereremiten, der im 18. und 19. Jahrhundert die Schloss- und Landschaftsgärten unserer Hemisphäre bevölkerte?

Doch gerade der Ziereremit hätte eine Wiederbelebung verdient, bietet er doch ein Berufsbild mit Zukunftspotenzial. Sein Anforderungsprofil beschreibt eine Zeitungsanzeige, die Charles Hamilton Mitte des 18. Jahrhunderts für die Eremitage im Park von Pain’s Hill in Surrey in Auftrag gab: „Der Eremit soll mindestens sieben Jahre in der Eremitage bleiben. Er wird mit einer Bibel, mit optischen Gläsern, einer Fußmatte, einem Betschemel, einem Stundenglas, mit Wasser und Nahrung vom Hause versehen werden. Er muss eine Kamelottrobe tragen und darf sich nie, unter keinen Umständen, das Haar, den Bart oder die Nägel schneiden, noch den Grundbesitz von Mr. Hamilton verlassen oder mit dessen Dienern sprechen“. Nach Ablauf der Zeit sollten ihm 700 Pfund ausgezahlt werden.

Die Gründe für eine bevorstehende Renaissance des Ziereremiten liegen auf der Hand. Nehmen wir beispielsweise unsere gestressten, Boni jagenden Spitzenmanager, die für die spirituelle Seite ihres Lebens und ihr Seelenheil einfach keinen Termin mehr frei haben. In Zeiten von Outsourcing und Differenzierung der Arbeitswelt ist der Ziereremit für diese beladenen Verantwortungsträger die Lösung. Der Geräteschuppen im großräumig angelegten Garten ist schnell zur Einsiedelei umgebaut. Während Managers Gattin den Haushalt schmeißt und die Kinder großzieht, versucht der Ziereremit mit Fürbittgebeten gen Himmel das sich im Berufsalltag auftürmende Sündenregister des Wirtschaftskapitäns jenseitsverträglich abzufedern. Bei aller Hektik sollte die regelmäßige Fütterung des Sakral-Tamagotchis nicht vergessen werden. Sonst könnte die Lieferung von Gnadenstrom jäh und final unterbrochen werden. Eine Megafachkraft wie Deutsche Bank-Chef Josef (Joe) Ackermann könnte sich mit seinem mehr als 380-fachen Gehalt eines durchschnittlichen Arbeitnehmers sogar einen ganzen Park mit Ziereremiten leisten. Nimmt man die Berichte in den Medien über ihn ernst, würde er eine Ablassfläche in dieser Dimension auch dringend zum Ausgleich seines himmlischen Kontostands benötigen.

Besonders die zahllosen arbeitslosen Investmentbanker würden sich für eine Umschulung zum Ziereremiten eignen. Haben sie doch in ihrem Beruf schon erfahren, dass es jenseits der Realwirtschaft abgehobene, ferne Welten gibt, die sich mit rationalem menschlichem Denken nicht mehr erfassen lassen. Ihr Training verzweifelter Stoßgebete während des Börsencrashs ist eine gute Vorbereitung für die neue Aufgabe. Raum für sie gibt es genug – die vielen, für sie nun nicht mehr erschwinglichen Golfplätze lassen sich sinnvoll in Eremitenstellplätze umwandeln und werden somit vor der Pleite bewahrt.

Falls gegen gefeuerte Investmentbanker noch gerichtliche Verfahren anhängig sein sollten, dürfte besonders bei amerikanischen Richtern religiöse Umkehr in einer Eremitage Milde auslösen. Hat sich die Lage wieder beruhigt, lässt sich die neue Arbeit auch effektiv kapitalisieren, indem man einzelne tägliche Gebetseinheiten als Aktien auf den Markt wirft. Spiritualität war schon immer ein Geschäft, welches es in modernen Zeiten als Investment zu handlen gilt. Wie beim Investmentbanker muss allerdings an der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Ziereremiten noch gearbeitet werden. Damit kommen wir zum Ausgang des Beitrags und zu Mr. Hamilton zurück. Charles Hamilton musste nämlich den auf seine Anzeige eingestellten Ziereremiten bereits nach drei Wochen wieder entlassen, da er sich vertragswidrig in ein Wirtshaus geschlichen hatte.

[Vgl. Bernadin Schellenberger: Ein anderes Leben. Was ein Mönch erfährt. Freiburg 1980, 3. Auflage. – Schellenbergers Ausführungen über Ziereremiten finden sich auf den Seiten 9-12. Zum Vergleich auch der Artikel „Schmuckeremit“ in der Wikipedia.]

Kategorie(n): Ausgekramtes und Entdecktes, Geschichtliches und Völkerkundliches, Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Heiliges und Unheiliges

2 Beiträge der Leser

  • Peter Beerhalter

    // Okt 22, 2008 at 13:42

    …und wieder ein “echter Maesel” ! Herrlich ! So einen Leckerbissen wünscht sich der geprellte Anleger mal im Editorial des “CAPITAL” zu lesen. Und “Master of the Universe” Ackermann könnte man durchaus mal 5 - 7 karge Jährchen bei Wasser und Brot im Maurischen Garten der Stuttgarter Wilhelma als Schmuckeremit präsentieren. Zum Anfassen sozusagen. Wenn’s kalt wird, darf er dann auch ins Primatenhaus. “Knut” Ackermann sorgt sicher für steigende Besucherzahlen und wenn dann die Kasse wieder vertraut klingelt, fühlt sich der Knabe wie zuhause.Vielleicht will er dann gar nicht mehr nach Frankfurt…Schön wär’s…

  • Markus A. Maesel

    // Apr 24, 2014 at 19:52

    Aktuelle Anzeige für einen Eremiten:

    http://www.sueddeutsche.de/karriere/ungewoehnliche-job-offerte-in-der-schweiz-kontaktfreudiger-einsiedler-gesucht-1.1942922

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