GEFÄHRDETE WEICHTEILE

Männliche Urängste

von Markus A. Maesel · 03.12.2008 · 4 Kommentare

Die Welt trauert um Hitlers Hoden. Diesen hatte er selbstlos 1916 in der Schlacht an der Somme für Kaiser und Vaterland aufgeopfert. Noch nie durfte der Diktator nach dem Zweiten Weltkrieg so viel Mitgefühl erfahren, als die Nachricht Ende November um die Welt ging. Wie kollektive Kastrationsängste selbst für einen Massenmörder Anteilnahme hervorrufen können! Zweifellos dürften nach diesem Fronterlebnis „Verlorene Eier in Senf(gas?)soße“ nicht mehr zu den Leibspeisen des Braunauer Gefreiten gezählt haben. Zudem stellt sich nach der tragischen Enthüllung die quälende Frage: Wäre Stalingrad mit zwei oberkommandierenden Hoden anders verlaufen? Ein britisches Spottlied wusste übrigens schon 1939 über das Manko des „Führers“ Bescheid: „Hitler has only got one ball, the other is in the Albert Hall“. Die Engländer waren auch in Krisenzeiten nie Humoreunuchen.

Bleiben wir noch einen Moment mit einer interessanten Parallele bei den Briten. James Brooke, den die meisten als Bösewicht aus dem Film „Sandokan – Der Tiger von Malaysia“ kennen, schuf sich im 19. Jahrhundert mit eiskalter Machtpolitik und schonungsloser Brutalität in Sarawak auf der Insel Borneo sein eigenes Königreich. Nachdem er zuvor bei einem Feldzug in Burma ebenfalls „in the seat of passion“ verwundet worden war. Ist ein pervertierter Machttrieb immer auch hodengeschädigt?

Der Malaiische Archipel, in dem Brooke sich sein halbes Leben lang bewegte, ist geeignet, um vorhandene Entmannungsängste weiter zu schüren. Der häufigere Blick in indonesische Zeitungen offenbart Schreckliches: Männer, die vor dem grauen Ehealltag in die Arme einer Geliebten entfliehen, machen ihre Angetraute damit zunächst „sakit hati“, zu Deutsch „leberkrank“. Der Ort des Gefühls ist in Indonesien nämlich nicht das Herz, sondern die Leber. Die Ehefrau wird dann still und stiller, nach außen bleibt die lächelnde Maske. Und dann kommt die Nacht, in der das aufgewühlte Innenleben der leidenden Herzensdame schlagartig das Lächeln durchbricht und sie in rasender Wut ihrem friedlich schlummernden Ehebrecher mit einem wohlgesetzten Messerschnitt das Corpus delicti entfernt. In der Pfalz nennt man das „Spargel stechen“. Ein beziehungsgeprüfter Arbeitskollege wies mich in diesem Zusammenhang eindringlich auf das Gefährdungspotenzial hin, das alleine schon in dem Begriff „Lebens-abschnitts-partnerschaften“ steckt.

Der genitale Amoklauf in Indonesien kommt aber auch ohne nächtliches Messerwetzen aus. So verbündeten sich die Geliebten eines Gigolos, nachdem sie von ihrer gegenseitigen Existenz erfahren hatten, zu einem finsteren Racheakt der besonderen Art. Mit ihrer Übermacht überfielen sie den Ahnungslosen und verätzten sein Gehänge mit Sambal oelek, einer äußerst scharfen Chilipaste. Vom phallischen Machtanspruch blieb nur ein Glühwürmchen in einsamer Nacht zurück.

Um noch mehr Öl in das Feuer männlicher Urängste zu gießen, wechseln wir nun in das benachbarte Ozeanien. Dort, wie auch in Amerika, gibt es das mythologische Thema der „Vagina dentata“. Danach waren in der Urzeit alle Vulven mit Zähnen bewaffnet, jeder Beischlaf wurde dadurch für den Mann zu einem identitätsgefährdenden Unterfangen. Venusfallen der Traumzeit? Eine hodenlose Gemeinheit. Es bleibt ein erschauderndes Kribbeln in der Leistengegend.

Und was ist das Fazit dieser Tour d’horizon durch männliche Ängste, Empfindlichkeiten und Verletzlichkeiten? Ich weiß es nicht. Zumindest scheinen Pazifismus, Treue und Verzicht auf Mythen dem Manne einen gewissen genitalen Bestandsschutz zu gewährleisten. Weicheier bleiben unversehrter. Doch verlassen wir dieses beklemmende Thema und flüchten stattdessen in die anstehende weihnachtliche Harmonie. Mit ergreifenden Melodien wie „Jingle balls, jingle balls …“ und „Süßer die Glocken nie klingen …“.

Literatur: Teil-Entmannung: Hitlers Hoden-Operateur vertraute sich Priester an (ber). In: Spiegel-Online vom 20. November 2008; Nigel Barley: White Rajah. A biography of Sir James Brooke. London, 2002, vgl. hierzu auch Eintrag im Internet; Michel Panoff/Michel Perrin: Taschenwörterbuch der Ethnologie. Berlin 1982, 2. Auflage, S. 304: Art. „Vagina Dentata“.

Kategorie(n): Geschichtliches und Völkerkundliches, Indonesisches und Manadonesisches, Makaberes und Skurriles

4 Beiträge der Leser

  • Stephan

    // Dez 7, 2008 at 15:18

    Echt witzig! (keine Ironie)
    Gruß Ste

  • Helga Moll

    // Dez 26, 2008 at 20:36

    Wie schon so oft in meinem Leben bin ich froh kein Mann zu sein.
    Helga

  • Anne

    // Mär 20, 2009 at 09:03

    Über so etwas kann ich nur ernsthaft und auch wohl mit einiger feministischer Fehleinstellung nachdenken, muss aber nicht unbedingt darüber lachen. Zuviel Unheil für zu viele Menschen hat wohl mit schlechter oder vermeintlich schlechter Qualität männlicher Kronjuwelen zu tun.

    Anne

  • Markus A. Maesel

    // Mai 25, 2013 at 11:21

    Ein neuer Artikel aus Indonesien passend zum Thema:

    http://www.thejakartaglobe.com/news/woman-arrested-after-cutting-friends-genitals/

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