STINKENDER HOCHGENUSS

Durian

von Markus A. Maesel · 12.03.2009 · 2 Kommentare

Spektakulär sind die unterschiedlichen Leidenschaften, welche die Frucht des Durianbaumes in Südostasien freisetzt. An der Durian scheiden sich nämlich nicht nur die Geister, sondern auch die Geruchs- und Geschmacksnerven. Wie bei keiner anderen Frucht sind bei ihr penetranter Geruch und außerordentlicher Wohlgeschmack vereint. Der englische Schriftsteller Anthony Burgess brachte diesen Gegensatz treffend auf den Punkt: „Es ist, als ob Sie einen Mandelpudding mit Himbeeren auf der Toilette essen würden“.

Der Name Durian, der sich vom malaiischen Wort Duri – Stachel, Dorn – ableitet, kündigt ihr Aussehen bereits an: Fußballgroß, grüngelb und rundum mit Stacheln bewaffnet zeigt sich die Frucht im Normalfall. Ihr Fruchtfleisch ist in fünf Zellen aufgeteilt. Die Durian wiegt zwischen einem und sechs Kilo, extreme Beispiele können bis zu dreizehn Kilo vorweisen. Schlagzeilen in Zeitungen Singapurs und Malaysias, wie „5 kg Durian fällt auf Omas Kopf“ und „Mann bedroht Polizisten mit Durian“, werden vor diesem Hintergrund erst verständlich.

Wie bei keiner anderen Frucht vereinigen sich in der Durian Kult, Mythos, Sucht, Liebe, Hass und auch die Politik. Sie hat entweder Freunde oder Feinde, dazwischen gibt es nichts. So hat die südphilippinische Stadt Davao der Durian ein Denkmal errichtet, während sie die Regierung Singapurs mit besonderen Verbotsschildern aus allen öffentlichen Verkehrsmitteln und Gebäuden verbannt. Die indonesische Metropole Jakarta trägt den Spitznamen „Durian“; eine Bezeichnung, die je nach Standpunkt als Zuneigung oder Ablehnung verstanden werden kann.

Fotos: Winny Riedel-Kanu

Ihren prominentesten abendländischen Verehrer fand die Stink- und Stachelfrucht in dem britischen Naturkundler Alfred Russel Wallace, der neben Darwin im 19. Jahrhundert die Evolutionstheorie entwickelte. Für ihn waren Durian und Orange „König und Königin unter den Früchten“. Er sah die Durian gar als eine „neue Art von Empfindung, die eine Reise nach dem Osten lohnt“. Seine Schilderung der Durian ist ein Hohes Lied der Liebe. Sich selbst nannte er einen „geschworenen Durian-Esser“. Die Durian ist die einzige Frucht, die der Tiger frisst. Deshalb ist die Durian-Saison in Kerinci auf Sumatra eine lebensgefährliche Angelegenheit, weil sich dann die Tiger den Dörfern und Plantagen nähern. Auch der Orang Utan nimmt weite Wege für den Genuss einer Durian in Kauf. Er weiß sie aber auch als gefährliche Geschoße einzusetzen, wenn er sich bedroht fühlt.

Die Freunde der Frucht scheinen keine Grenzen für ihre Verwendung zu kennen. Durian gibt es als Bonbons, Milchshakes, Eiscreme, Kuchen, Pudding, Pfannkuchen, Tubenpaste und und und. Die Dajak auf Borneo schätzen traditionell Durian eingesalzen als Beilage zum Reis. In Singapur gibt es als Kuriosum das „Four Seasons“, in dem ausschließlich Duriangerichte serviert werden. Selbstverständlich ist das Lokal mit einem besonderen Belüftungssystem ausgestattet. Hartnäckig hält sich die Behauptung, dass die Kombination von Alkohol und Durian todkrank mache. Dahinter steht die asiatische Vorstellung, dass sowohl Durian als auch Alkohol „Hitze“ haben und die Vereinigung unterschiedlicher  „Hitzen“ zum schnellen Dahinscheiden führe. Deshalb bleibt es dem experimentierfreudigen Braumeister Fal Allen in Singapur auch versagt, bei „Archipelago“ ein Bier mit Duriangeschmack zu kreieren. Bester Beweis für die Verträglichkeit der beiden hitzigen Elemente war „Doktor Bart“, ein aus Deutschland stammender Paläontologe und Chef der Altertumsforschung in Niederländisch-Indien, dem heutigen Indonesien. Bei ihm blieb der geliebte, gleichzeitige Genuss von Genever und Durian ohne Folgen.

Die Durian ist vom Nimbus des Aphrodisiakums umgeben. So lautet in Indonesien eine alte Redensart: „Wenn die Durian von den Bäumen fallen, heben sich die Sarongs“. Sarongs sind die traditionellen Wickelröcke der Frauen und Männer Indonesiens und Malaysias. Eine inoffizielle Untersuchung unter Durian-Essern auf der malaysischen Insel Penang scheint diese Volksweisheit zu bestätigen. Neun Monate nach den beiden Erntezeiten der Durian konnte dort ein starker Anstieg der Geburten festgestellt werden. Doch die Durian soll im sexuellen Bereich nicht nur anheizen, sondern auch schützen. Das dachte zumindest DKT International, eine Organisation, die Aids den Kampf angesagt hat. Sie brachte 2003 in Indonesien Kondome mit Duriangeschmack auf den Markt. Allein in der ersten Woche gelangten 150.000 dieser aromatischen Gummis in den Verkehr. Ein voller Erfolg.

Der von Sauberkeit und Hygiene besessenen Regierung Singapurs ist die Durian schon lange ein Dorn im Auge. Bereits der Stadtgründer Sir Stamford Raffles musste sich übergeben, wenn er die Frucht nur roch. Singapur, welches das Leben seiner Bürger streng reglementiert, versucht mit Verboten der grassierenden Duriansucht und dem damit verbundenen Gestank Herr zu werden. Allein 1993 verschlangen die 3 Mio. Bewohner der Stadt für 30 Mio. USD Durianfrüchte. Für sie ist Durian aber nicht nur Genuss, sondern auch stiller Protest gegen die Allgegenwart der Regierung und ihrer Anordnungen. Der Aufbau des 2002 eingeweihten Kulturzentrums „The Esplanade Theatres“ in Singapur  erinnert an zwei Durianhälften und wird daher von der Bevölkerung des Stadtstaates als „Singapore Durian Convention Center“ betitelt. Ein geruchfreies Versöhnungsangebot der autoritären Regierung an ihre Untertanen?

Durianbäume finden sich heute von Thailand bis Nordaustralien. Die meisten wachsen noch in der Wildnis Südostasiens. Die Ernte ist aber zunehmend durch die Zerstörung der Regenwälder beeinträchtigt. Inzwischen wird die Durian im großen Stil in Plantagen angebaut. Sie ist allerdings in wirtschaftlicher Hinsicht eine nicht unproblematische Plantagenfrucht, da der wählerische Baum nach Pflanzung acht bis zehn, nach anderen Angaben sogar 15 Jahre braucht, um Früchte zu tragen. Mango und andere populäre tropische Früchte benötigen hingegen nur drei Jahre. Durianfrüchte können zweimal im Jahr geerntet werden und erzielen teilweise exorbitante Preise. Großabnehmer für die Früchte sind Singapur, Hongkong und Taiwan, an die 1996 fast 92 % der thailändischen Durian-Exporte gingen.

Potenzielle Durian-Genießer sollten sich von dem lange anhaftenden Geruch der Frucht nicht von ihrem einmal gefassten Entschluss abbringen lassen. Mit treuherzigem Augenaufschlag versichert Juli, eine junge Javanerin: „Es bleibt nach dem Verzehr kein Duriangeruch an den Händen zurück, wenn man sie mit geschlossenen Augen wäscht“.

Quellen und Literatur: Behl, Silke: Java. Köln 1997, S. 64. - Bizarres Liebesaroma: Stinkfrucht-Kondome sind der Renner. In: Spiegel-Online v. 13.06.2003. - Du Mont visuell Singapur und Malaysia. Köln 1995, S. 62/63. - Durian.net. - Durian Online (DOL) (Die Website lässt sich nicht mehr aufrufen und ist anscheinend in Durian.com aufgegangen). – Esplanade - Theatres on the Bay. In: Wikipedia. - Katz, Richard: Heitere Tage mit braunen Menschen. Hamburg/Berlin 2. Auflage 1955 (Erstauflage 1929), S. 43. - Knaus, Karlheinz (Max): Sulawesi. Bielefeld 1997, 3. Auflage, S. 59/60. - Lenz, Michael: Roggen, Ingwer und Kölsch: Singapur braut sich was zusammen. In: Spiegel-Online v. 17.09.2007 . – Maesel, Markus A.: Durian - ein “stinkender Hochgenuss” Südostasiens. Die Frucht des Durianbaumes kennt nur glühende Verehrer oder erbitterte Gegner. In: Holz-Zentralblatt Nr. 83 v. 12.07.2002, S. 1003 (Der Beitrag wurde für „Weltgeflüster“ in Wort und Bild aktualisiert; die holzwirtschaftlichen Aspekte des Durianbaumes wurden weggelassen). – Maesel, Markus A.: Durian - un délice puant sud-asiatique. In: Thema International (Zeitschrift des Schweizerischen Motivsammler-Vereins), 127. Ausgabe, 2003, S. 135-138 (Übersetzung und Illustrierung mit Durian-Briefmarken durch S. Fuchs). - Shenon, Philip: Love It or Hate It, This Is the Forbidding Fruit. In: The New York Times v. 18.07.1994. – Sriyom, Kesinee: Singapore’s famous esplanade theater shaped like the famous durian fruit. In: Excelloz Travel, 22.09.2006. - Wallace, Alfred Russel: Der Malayische Archipel. Herausgegeben und eingeleitet von Peter Simons. Frankfurt 1983, S. 49/50 u. 63-65.

Danksagung: Den bunten Durian-Bilderbogen hat vor wenigen Wochen Winny Riedel-Kanu auf dem Markt in Phnom Penh und am Strand von Sihanoukville, beides in Kambodscha, exklusiv für „Weltgeflüster“ aufgenommen. Für das Engagement danke ich ihr recht herzlich.

Kategorie(n): Genüssliches und Anregendes, Geschichtliches und Völkerkundliches, Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Indonesisches und Manadonesisches, Tierisches und Pflanzliches

2 Beiträge der Leser

  • helga

    // Mär 15, 2009 at 12:14

    Hallo Markus,
    30 Jahre lang bin ich naserümpfend um die Durian herumgegangen, dann habe ich sie auf einem kleinen Markt eines Dorfes unter den kritischen Blicken der Thais probiert und bin restlos begeistert. Dein Beitrag ist für mich von a bis z nachvollziehbar.
    Gruß Helga

  • Markus A. Maesel

    // Okt 18, 2017 at 11:09

    Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Durian: https://www.welt.de/icon/essen-und-trinken/article169672840/Schmeckt-wie-der-Himmel-stinkt-wie-die-Hoelle.html - Durian hat mit 46.000 Genen doppelt so viele wie der Mensch

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Kommentar: