DEUTSCHES UNTER PALMEN

Fußballverrücktes Indonesien

von Markus A. Maesel · 19.06.2009 · 1 Kommentar

Es ist Sonntagnachmittag und Klassentreffen in Karegesan, einem Dorf der Minahasa-Tonsea im Nordosten Sulawesis. Der Jahrgang meiner Frau, der von 1992 bis 1995 die Mittelschule (SMP) des Ortes besuchte, hat sich auf einem wildromantischen Anwesen zwischen Fischteichen unweit von Karegesan, versehen mit Haus und Festplatz, verabredet. Ich bin der einzige Weiße auf der Veranstaltung, der letzte hier gesichtete Europäer dürfte der holländische Landvermesser während der Kolonialzeit gewesen sein. Aufgrund meiner Körpergröße und den behaarten Beinen werde ich von den Schulfreundinnen meiner Frau bestaunt. Verschämt, aber höchst interessiert, erkundigen sie sich bei meiner besseren Hälfte: “Hat er auch einen großen Pimmel?”

Der Besitzer des Grundstücks kommt auf mich zu. “Kommen Sie aus Deutschland?”, fragt er mich. Ich bejahe und er führt mich zu einer verschlossenen Tür, offenbar sein Allerheiligstes. Er öffnet und winkt mich herein, fast die gesamte Längsseite des Raumes ist mit einer riesigen schwarz-rot-goldenen Fahne behangen. “Ich liebe den deutschen Fußball”, bekennt er voller Stolz.

Der Weg durch die Fischteiche Karegesans hat es mir angetan. Ich möchte ihn weitergehen, durch die sich anschließenden Reisfelder bis zu den Kebong, den Waldgärten der von Ferne sichtbaren Bergkette. Am nächsten Morgen breche ich mit meinem Schwager Edy auf. Edy ist ein erfahrener Waldarbeiter, zudem ein hemmungsloser Bewunderer der deutschen Bundesliga. Ein nicht unbeträchtlicher Teil seines kargen Tageslohnes fließt in Fußballzeitschriften. Wir bewegen uns in der Übergangszone zum Regenwald. Hier - Anus mundi - spricht er mit mir über den VfB Stuttgart, Werder Bremen und Torhüter Lehmann. “Ist Lehmann von seiner Herkunft eigentlich ein Deutscher?”, will er wissen. Krampfhaft versuche ich meinen Fußball-Anaphabetismus zu verbergen.

Nahe eines Bergkamms müssen wir auf einem Steg, bestehend aus drei Bambusstangen, eine Quelle überqueren. Edy nimmt sein gekrümmtes Buschmesser in den Sicherheitsgriff, angewinkelt unter den Arm, die Spitze abgesenkt nach hinten. Auf der anderen Seite ist ein Brett zum Auftreten. Ich setze den Fuß zu weit am Rand auf, es schnellt in die Höhe, ich falle in Edys Rücken. Sein Buschmesser durchbohrt mein T-Shirt und schlägt tief unterhalb der Achselhöhle in meinen Körper ein. Ich blute wie ein angestochenes Opferschwein der Minahasa. Mir wird schummrig. Mein langgehegter Wunsch, nicht als braver Gartenstädter auf dem Mundenheimer Friedhof zu enden, scheint in Erfüllung zu gehen. Aufgeregt rennt Edy in der Gegend herum und sucht “Daun Manado”, Blätter eines Strauches, deren Saft eine blutungsstillende Wirkung hat. Immer wieder zerreibt er die gefundenen Blätter zwischen seinen Fingern und presst den Saft in die Wunde. Meine spitze Bemerkung, dass Frau und Kinder vorerst durch Todfallversicherungen versorgt seien, lässt ihn noch hektischer nach “Daun Manado” suchen. Nach einiger Zeit hat Edy die Blutung im Griff. Wir brechen auf, es sind noch viele Kilometer bis in unser Heimatdorf Kaima.

Stunden später liege ich im kleinen Hermana-Hospital in Lembean auf einer alten Pritsche mit Rollgestell. Der Raum samt Ausstattung könnte aus einer Zeit stammen, als Indonesien noch Niederländisch-Indien hieß. Der junge indonesische Arzt, der mich gekonnt mit mehreren Stichen wieder zusammenflickt, entpuppt sich ebenfalls als glühender Verehrer des deutschen Fußballs. Ballack und Podolski mag er besonders.

Zuhause in Kaima sitzen Edy und ich erschöpft auf der Veranda. Bei Bir Bintang und Kasegaran, einem schwer definierbaren Gesöff mit 14 Prozent Alkohol, lassen wir den Tag Revue passieren. Edy kommt auf den Fußball zurück. Bei der letzten Weltmeisterschaft habe er furchtbar gelitten, als Deutschland gegen Italien verloren habe. Er versucht die innere, nicht heilen wollende Wunde, für die es offenbar kein “Daun Manado” gibt, mit einem weiteren Glas Kasegaran zu betäuben. Während der Weltmeisterschaft seien viele Häuser im Minahasa-Gebiet mit deutschen Fahnen geschmückt gewesen. Damals hatte Edy von mir auch ein deutsches Nationaltrikot erbeten. Er trägt es oft, wenn er ausgeht.

Kategorie(n): Geschichtliches und Völkerkundliches, Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Indonesisches und Manadonesisches, Sonstiges und Undefinierbares

1 Beitrag der Leser

  • Gerhard Böhmer

    // Jun 19, 2009 at 19:01

    hallo lieber markus, pass ja gut auf dich auf. wir verlieren ungern einen lieben menschen. trotz hoher todesfallversicherung - obwohl wann ich länger überlege…..grins

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