INFEKTIÖSES

Im indonesischen Krankenhaus (Teil 2)

von Markus A. Maesel · 27.08.2009 · 6 Kommentare

Indonesische Pädagogik und ihre Tücken – Piraten und Kopfjäger – Misstrauen gegenüber traditioneller Medizin – Sabbat und Krankenhausrechnung – Krank sein ohne Geld – Bethlehem in Manado

Meine Tochter hat die Grundzüge der indonesischen Pädagogik schnell begriffen und wendet sie im Krankenhaus gezielt an. Bis etwa zur Grundschule haben indonesische Kinder Narrenfreiheit. Auf ein Verbot oder eine Wunschverweigerung reagieren sie entweder mit stundenlangem Bitten und Betteln oder mit hysterischem, tränenreichem Geschrei. Besonders mit Heulen verstehen sie es, Erwachsene ins Unrecht zu setzen. Weinende Kinder erträgt kein Indonesier lange; sofort treten Retter auf, um die Tränen mit Unterlaufen des Verbots oder der Erfüllung des Wunsches zu trocknen. Eltern werden schnell mit strafenden Blicken für ihre Hartherzigkeit sanktioniert. Unser Sohn, ein schlechter Esser, möchte beispielsweise spätabends noch Bakso kuah essen. Diese javanische Nudelsuppe mit Fleischklößchen gibt es aber nur im zwölf Kilometer entfernten Airmadidi. Ich vertröste ihn auf den nächsten Tag, schalte bei seinem weiteren Betteln auf Durchzug und entferne mich bald genervt. Als ich zurückkomme, ist mein Sprössling verschwunden. Sein mitleidiger Onkel Edy ist mit ihm heimlich nach Airmadidi gefahren. Schließlich muss der arme Kerl doch etwas essen – dieser sture, prinzipientolle deutsche Vater hat einfach kein Gefühl für zarte Kinderseelen.

Aufgrund ihrer Infektion ist meine Tochter im Hospital auf Diät gesetzt. Das akzeptiert sie so lange, bis sie auf dem Teller meiner Frau einen gebratenen Fisch sieht, den sie für sich einfordert. Doch dieser in heißem Kokosöl gebadete Meeresbewohner ist eine Kriegserklärung an jede Schonkost. Das Kind hört deshalb ein „Nein“. Daraufhin geht bei dem Mädchen die Sirene an, heulend wirft sie sich auf die Matratze, die Lautstärke kontinuierlich steigernd. Seine indonesische Mutter ist dem Druck nach einigen Minuten nicht mehr gewachsen und ruft die Krankenschwester. Als Versöhnungsangebot wird extra für das Kind in der Küche ein Reisschleimbrei gekocht. Dessen Anblick versetzt die kleine Göre in noch größere Wut, mit knallrotem Kopf bekommt sie beim Schreien kaum noch Luft. Jetzt greifen auch Schuldgefühle nach der Krankenschwester. Sie ruft den verantwortlichen Arzt zu Hause an und fragt, ob das arme Wesen trotz Infektion gebratenen Fisch essen dürfe. Der Doktor verneint pflichtbewusst. Inzwischen tobt unsere Tochter derart herum, dass wir froh sind, dass Menschenrechtsorganisationen in Indonesien dünn gesät sind. Mutter und Krankenschwester verzweifeln, flehentlich wird der Arzt erneut angerufen. Jetzt kann auch er sich dem kindlichen Druck nicht mehr entziehen und findet einen typisch indonesischen Ausweg aus dem Schlamassel. Das Kind dürfe den inneren Teil des weißen Fleisches essen, da in diesem – angeblich – das Öl beim Braten nicht vorgedrungen sei. Erleichtert streuen Mutter und Krankenschwester den zerrupften Fisch auf den Reisschleimbrei und reichen ihn dem strahlenden Kind.

Die pädagogische Lufthoheit über meine Kinder gewinne ich erst wieder auf deutschem Boden zurück. Als mein Sohn mich erneut zu später Stunde drangsaliert, für ihn mit dem Bus nach Ludwigshafen Stadtmitte zu fahren und bei Cici seinen Lieblingsdöner zu holen, muss er wehmütig erkennen, dass fast 14.000 Kilometer zwischen ihm und Onkel Edy liegen.

Doch noch sind wir in Indonesien und unsere Tochter im Krankenhaus. Abends kehre ich nach Kaima zurück, um bei meinem Filius nach dem Rechten zu sehen. Seit wir auf Sulawesi sind, trägt er den ganzen Tag über Opas Buschmesser um die Hüften. Er schnallt es nicht einmal ab, wenn er auf die Toilette geht. Überall seien Piraten und Kopfjäger, erklärt er mir. Als wir ihm einmal auf dem Weg zum Badestrand die Machete abnehmen, kommt das für ihn einer Entmannung gleich. Jetzt, da seine Eltern nur noch im Krankenhaus sind, muss er sich alleine unter seiner indonesischen Verwandtschaft behaupten und plötzlich spricht er in ganzen Sätzen Bahasa Indonesia. Die beiden ersten Wochen in Kaima hatte er noch in kolonialer Manier versucht, Deutschkurse für die einheimische Bevölkerung abzuhalten.

Opa Uske ist um seine Enkeltochter besorgt. Bei diesem Infekt brauchen die modernen Medikamente viel zu lange. Wir sollen das Kind aus dem Krankenhaus nehmen, er habe traditionelle Medizin vorbereitet, mit der es innerhalb eines Tages genesen werde. Stolz zeigt er mir ein Blatt Papier, auf dem er besondere Würmer gesammelt hat, die sich im Würgegriff von Ameisen vergeblich gegen das Vertrocknen aufbäumen. Pulverisiert seien sie die beste Medizin. Ich beeile mich, meinem Schwiegervater glaubhaft zu versichern, dass die Medikamente im Krankenhaus bei seinem Enkelkind bereits angeschlagen hätten.

Die Adventisten halten wie die Juden am Samstag den Sabbat. Alle vermeidbaren Arbeiten ruhen an diesem Tag. Am Sabbat nehmen die Angestellten des Adventistenkrankenhauses in Manado auch kein Geld in die Hand. Deshalb können wir an diesem Tag nicht die Krankenhausrechnung bezahlen und unsere Tochter muss bis Sonntag im Hospital bleiben. Aber die verlängerte Genesungszeit tut ihr gut. Und da wir am Montag Indonesien verlassen müssen, ist sie bis dahin vor weiteren Erregern geschützt.

Bei der Einlieferung in das RSAM muss für den Patienten eine nicht geringe Anzahlung geleistet werden. Für die erste Klasse beträgt sie 700.000 Rupiah, in der obersten VIP-Kategorie gar 1.750.000 Rupiah (ungefähr 14.000 Rupiah = 1 Euro). Diese wird zum Schluss mit den genossenen Leistungen verrechnet. Wir können dank unseres deutschen Geldbeutels und dem hohen Standard des Hospitals mit einer gesunden Tochter nach Kaima zurückkehren. Aber wie reagiert das Krankenhaus, wenn eine mittellose indonesische Familie mit ihrem schwerkranken Kind an der Pforte steht? Meiner bangen Frage versucht meine Frau auszuweichen. Aber wir können nicht das kleine Mädchen in Kaima vergessen, das vor vier Jahren im Alter unserer Tochter an Leukämie starb, weil die Eltern das Geld für die Behandlung nicht aufbringen konnten. Und wir denken an Maikel, den Bruder meiner Frau, der kurz vor Weihnachten 2003 als Unbeteiligter von einem Mob niedergestochen und in das staatliche Rumah Sakit Malalayang gebracht wurde. Jede Infusionsflasche und jede Bluttransfusion wurde erst angelegt, wenn sie bar bezahlt war. Wir wurden derweilen im fernen Deutschland fast verrückt, weil wir immer jemanden finden mussten, der vor Ort das Geld vorstreckte, bis die Überweisung per Postbank vorlag. Ohne Geld hätte das Hospital Maikel verbluten lassen.

Dann wird es mir trotz der schwülen Tropenhitze weihnachtlich zumute, als ich mich an ein Erlebnis erinnere, von dem mir ein deutscher Krankenpfleger erzählte. Seine Ehefrau, eine aus Bitung stammende Minahasa, wollte ihr erstes Kind in ihrer Heimat zur Welt bringen. Im Kreißsaal war sie von lauter hilfsbereitem Personal umringt. Im Nachbarbett lag eine Gebärende, um die sich niemand kümmerte, weil sie kein Geld hatte. Und während alle vorhandenen medizinischen Fachkräfte seiner Frau bei der Geburt des gemeinsamen Sohnes halfen, brachte er als Krankenpfleger unbeachtet und alleine das Kind der liegen gelassenen Frau zur Welt. Bethlehem in Manado.

Der Aufenthalt im RSAM war vom 1. bis 5. Juli 2009.

ZUM TEIL 1

Kategorie(n): Geschichtliches und Völkerkundliches, Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Indonesisches und Manadonesisches

6 Beiträge der Leser

  • Stephan

    // Aug 28, 2009 at 11:18

    Hallo lieber Markus,
    ich freue mich jede Woche über Deine Stücke;
    jetzt bist Du aber als Tippgeber gefragt:

    Cici Döner in Ludwigshafen - wo und wirklich empfehlenswert?
    Und Nebenbei was ist mit indonesisch Essen bei uns; so ne Art Thai-Küche -
    Gruß Stephan

  • Markus A. Maesel

    // Aug 28, 2009 at 13:15

    Hallo Stephan,

    zunächst freue ich mich, dass Du Spaß an Weltgeflüster hast; das ermutigt einen Autor weiterzumachen!

    Cici hat zwei Läden; einmal an der Tortenschachtel (Karstadt), gleich wenn Du vom Bus am Berliner Platz über die Gleise gehst links; nicht der Döner gegenüber. Einen Laden zum Hinsetzen hat Cici in der Wredestraße zwischen Apotheke und Corso, also nur ein paar Meter weiter.

    Cici backt die Brote selbst, steckt und würzt seine Spieße selbst mit Hähnchenschnitzeln und macht die Soßen selbst. Und das Grünzeug ist immer frisch. Wir essen nur Döner von Cici, das andere Döner-Industriefutter nähert sich in der geschmacklichen Neutralität den Hamburgern an.

    Indonesien hat viele Regionalküchen, deutliche Unterschiede zu Thailand. Sehr viele Lokale in Holland.

    Viele Grüße

    Markus

  • Anne

    // Aug 31, 2009 at 10:28

    Hallo Markus,

    es hat mir wirklich Freude gemacht, den Artikel zu lesen. Hast Du den Eindruck, dass die indonesische Erziehung die friedwilligeren Menschen hervorbringt?

    Drücke Deine Rangen und grüße auch Shenny von

    Anne

  • Herwig

    // Aug 31, 2009 at 17:00

    Sehr gut geschrieben, lieber Markus. Das ist typisch indonesisch, nicht nur in Manado. Ich wusste nicht, dass Euer Toechterlein so krank war. War es Dengue oder Paratyphus?
    Ich habe gehoert, dass Du bei Deinem Aufenthalt in Manado auch den dortigen Kriegstanz gelernt und aufgefuehrt hast. Vielleicht kannst Du ihn auch in Deutschland anbringen, denn der Wahlkampf ist so langweilig.
    Herzlichst Herwig in Bogor

  • Jutta Link

    // Okt 25, 2009 at 15:18

    Die indonesische Erziehung ist beeindruckend. Wenn man deine netten Kinder sieht, bekommt man den Verdacht, dass diese gar nicht so verkehrt sein kann.Ansonsten ist dein Bericht so interessant, dass man stundenlang weiterlesen möchte.

  • Das Fahrtenmesser | Weltgeflüster

    // Sep 15, 2015 at 20:14

    […] Knirps in Indonesien das Buschmesser seines Großvaters um die Hüften. Vier Wochen lang (vgl. damaligen Weltgeflüster-Beitrag). Wie stolz war Opa auf den mannhaften Enkel. Die Vorfahren, Angehörige des Minahasa-Volkes, […]

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