IM SANGIHE-TALAUD-ARCHIPEL

Der schwankende Weg nach Tahuna (Teil 1)

von Markus A. Maesel · 10.09.2009 · 0 Kommentare

Schon seit mehr als einer Stunde müsste sich die Express Bahari, ein Schnellboot, das Manado mit Tahuna verbindet, ihren Weg durch die Celebessee bahnen. Sie schafft die Strecke in sechs Stunden, während herkömmliche Schiffe fast die doppelte Zeit benötigen. Doch noch immer strömen Menschen mit Taschen und Kartons an Bord, oft gefolgt von keuchenden Lastenträgern, die sich mit ihren einheitlichen T-Shirts als Hafenkooperative ausweisen. Das Schiff ist vollkommen überfüllt, die Eingänge mit aufeinander gestapelten Gepäckstücken zugebaut, selbst auf den Treppen und in den Gängen sitzen Menschen. Zuhause in Deutschland lese ich mehrmals im Jahr auf der Homepage der „Jakarta Post“ von Fähren, die vor Sulawesi gesunken sind. Jetzt verstehe ich auch warum. Aber diese Erkenntnis verschafft mir keine Sicherheit. Ich sitze wie in einer Falle in der „Eksekutif“-Klasse im Unterdeck fest. Jetzt ist es noch enger durch die fliegenden Händler, die, sich gegenseitig übertönend, in Styroporschachteln verpackte Reisgerichte, Trinkwasser, Pulsa-Prepaid-Karten und Duftöle anpreisen.

Der Service der „Eksekutif“-Klasse besteht aus einem reservierten Sitzplatz, Anrecht auf eine Schwimmweste, die Teilhabe an chinesischen Actionfilmen am Großbildschirm sowie Air Condition aus vier überlauten Gebläsen. Glücklicherweise habe ich aufgrund langjähriger Tropenerfahrung immer eine Fleecejacke und einen Anorak dabei. Weiterhin bekommen die Passagiere dieser Buchungskategorie gleich zu Beginn einen kleinen Karton mit Reis, Gemüse, Sambal, etwas Fisch sowie einen abgepackten Plastikbecher Wasser als Reiseration ausgehändigt.

Im Mittelteil des Schiffes befindet sich die luxuriösere VIP-Klasse. Die „Klas kambing“ („Ziegenklasse“) auf dem Oberdeck, vornehm als „Ekonomi“ bezeichnet, ist lediglich mit einfachen Holzbänken ausgestattet und nicht klimatisiert. Unter dessen Dach ist es brütend heiß. Dort spürt man den Wellengang am stärksten, so mancher Ziegenklässler wird in den nächsten Stunden über der Reling hängend dem Meeresgott Neptun sein Opfer darbringen.

Die Sangihe- und Talaud-Inseln ziehen sich wie eine Perlenschnur von der Nordostspitze der indonesischen Insel Sulawesi bis zur philippinischen Insel Mindanao hoch. 77 grün und schwarz glänzende Perlen, die meist vulkanischen Ursprungs sind. Gereizt hat mich der Archipel schon lange. Doch wenn wir bisher die Familie meiner Frau in Nordsulawesi besuchten, gab es immer dringendere Termine. Dieses Mal sagte meine bessere Hälfte, da sich unser Aufenthalt dem Ende zuneigte: „Du brauchst noch etwas Abenteuer“. Sie blieb mit den beiden Kindern bei ihrer Familie zurück und entließ mich in meine tropischen Fantasien, allerdings nur mit meinem Schwiegervater Ignatius Merung, den alle nur Uske nennen, und meinem Schwager Edy als Begleitung. Es kann ja so viel passieren. Schwiegervater kennt die Sangihe-Talaud-Inseln wie seine Westentasche. Er fuhr in den 1960er Jahren sieben Jahre lang auf einem 700-Tonnen-Schiff mit, das Kopra im Archipel aufkaufte. Mit einem betagten Fernrohr bewaffnet, brennt er darauf, alte Erinnerungen aufzufrischen. Und Edy ist froh, für einige Tage der monotonen Waldgartenarbeit entronnen zu sein.

Erstmals seit drei Wochen treffe ich hier auf dem Schiff wieder auf Weiße. Ein Ehepaar, das die Siebzig bereits überschritten hat, wagt in Begleitung einer jungen, überaus hübschen, mich freundlich anschauenden Manadonesin die beschwerliche Seereise nach Tahuna. Doch eingekeilt zwischen Schwiegervater Uske und Schwager Edy bin ich vor jeder Sünde gefeit. Weiterhin finden sich hier an Langnasen ein Rucksacktourist Anfang Dreißig und der selbstgefällige, muskelbepackte und gebräunte Taucher amerikanischer oder australischer Provenienz, der gefolgt von seiner graumausigen Ehefrau und einem windkanalgestylten indonesischen Vertreter einer Tauchschule auf dem Weg zur Unterwasserwelt von Sangihe Besar ist. Und dann ist da noch der unaufhörlich plappernde Manado-Chinese mit zerrupfter 80er-Jahre-Mittelscheitelfrisur und tropfenförmiger Brille. Permanent und penetrant erinnert er mich daran, dass ich in zwei Wochen wieder als übermüdeter und angepasster Fernpendler im ICE nach Stuttgart sitzen werde. Sein schwarzes Polohemd ziert nämlich nicht nur die schwarz-rot-goldene Flagge, sondern auch die Aufschrift „Porsche Germany Stuttgart“.

Endlich springt mit einem Höllenlärm unter unseren Füßen der Motor der Express Bahari an, die wacklige hölzerne Landungsbrücke wird eingezogen, das Schiff verlässt röhrend das Hafenbecken, hinter ihm schäumt das Wasser. Lange arbeitet es sich die Küste Nordostsulawesis entlang, um dann sich erst dem offenen Meer anzuvertrauen. Mein Schwiegervater erzählt mir, dass hier irgendwo die Insel Biaro sei, vor der es einen Unterwasservulkan gebe, dessen Kraterrand man bei Ebbe sehen könne. Alle Fische, die ihm zu nahe kommen, müssen das mit dem Leben bezahlen.

Wir erreichen Tahulandang (Tagulandang). Das Eiland hat keinen natürlichen Hafen, stattdessen ragt ein von der Witterung zernagter Betonpier in das offene Meer hinaus, an den das Schiff anlegt. Sofort entern wieder fliegende Händler das Expressboot. Lautstark bieten sie wohlschmeckende und durstlöschende Salak an, die wegen ihres Aussehens auch Schlangenhautfrüchte genannt werden. Sie haben keine Schwierigkeiten, ihr Produkt bei den Reisenden anzubringen, denn Tahulandang ist für seine Salakpalmen in ganz Nordsulawesi bekannt.

Die Express Bahari nimmt nun in unruhiger See Kurs auf Siau. Die Insel wird vom Karangetang beherrscht, dessen Nord- und Südgipfel 1.784 Meter und 1.827 Meter in die Höhe ragen. Der Karangetang, der auch den Namen Api Siau – Siau-Feuer – trägt, gehört zu den 65 gefährlichsten Vulkanen Indonesiens. Seit 1675 hatte er mehr als 40 Ausbrüche. Das Land der 18.000 Inseln kann insgesamt mit rund 500 Vulkanen aufwarten, von denen 128 oder 129 aktiv sind. Allein in der langgestreckten Provinz Nordsulawesi (Sulawesi utara) mit 15.466 Quadratkilometern, zu der auch der Sangihe-Talaud-Archipel gehört, finden sich acht aktive Vulkane. Die Hälfte der Feuerspeier verteilt sich auf den Sangihe-Inseln.

Das Schiff legt im Hafenbecken von Siau an. Viele Passagiere gehen von Bord, neue strömen mit schweren Gepäckstücken in das Innere des Expressbootes hinein, es folgen die obligatorischen fliegenden Händler. Die Prozedur zieht sich in die Länge, da das Schiff aufgrund des Wellengangs ständig schwankt. Am Heckende des Unterdecks kann man ins Freie treten. Dort geselle ich mich zu einigen anderen Passagieren, die das Hafentreiben beobachten und frische Luft schnappen. Hinter Kokospalmen sehe ich in der Ferne die graue Spitze des Karangetang friedlich im Licht der Nachmittagssonne schimmern. Erst zuhause erfahre ich, dass vier Wochen zuvor sich Lava wie eine Lawine über eine Strecke von mehr als 2.000 Meter den Berg hinab ergossen hat. Hunderte von Menschen mussten evakuiert werden. Vor zwei Jahren mussten gar 4.000 Menschen vor dem feurigen Kannibalen in Sicherheit gebracht werden. Wie Schönheit und Vernichtung so nahe beieinander liegen können.

Wir brechen zur letzten Etappe nach Tahuna auf Sangihe Besar auf. Inzwischen hat sich das Meer wieder beruhigt und zeitweise stehe ich nun am Heck im Freien. Ich schaue der langen, aufgewühlten Schaumbahn nach, die die Schiffsschraube hinterlässt; atme genießerisch die frische, salzige Luft ein. Die Express Bahari passiert derweilen mehrere kleine und mittelgroße Inseln. Ihre Küsten sind schwarz, steil und rau, mit starker Brandung. Meist sind sie mit Palmen bewachsen, dazwischen grasgrüne Lichtungen. Manchmal sind große, weißgetünchte Kirchen zu sehen. Wie haben die Menschen das ganze Baumaterial auf diese entlegenen Eilande geschafft? Einige der Inseln würde ich später gerne einmal besuchen, aber wie komme ich da hin?

Plötzlich bleibt das Schiff stehen und benötigt die ganze Motorkraft, um seine Warteposition zu halten. Zwei kleine Schnellboote schießen von der Insel Karakitang auf uns zu. Einen Augenblick denke ich an Piraten, die gelegentlich die Celebessee unsicher machen. Aber diese sollten eigentlich mehr nordwestlich, bei den etwa 450 Kilometern entfernten Inseln Basilan und Jolo ihr Unwesen treiben. Dort spielte sich auch vor neun Jahren die Entführung ausländischer Touristen durch die Abu Sayyaf ab. Ich nehme mir für den Fall der Fälle fest vor, nicht wie damals die Göttinger Blockflötenlehrerin erbarmungswürdig in die internationalen Fernsehkameras zu winseln. Stolz und lautlos werde ich als Vorposten der südwestdeutschen Zivilisation in diesem abgelegenen Archipel fallen. Hatte nicht schon mein kurpfälzischer Landsmann, der Mannheimer Indonesien-Forscher Dr. Carl Anton Ludwig Maria Schwaner vor 167 Jahren auf Java in tropischer Schwüle sinniert: „Wenn man nicht setzet das Leben ein, wie kann das Leben gewonnen sein?“ Doch meine heroischen Fantasien erweisen sich schnell als obsolet. Die beiden Schnellboote wollen lediglich Kinder abholen, die wohl in Manado im Schulinternat waren.

Bald taucht die Insel Sangihe Besar am Horizont auf. Mit 45 Kilometern Länge und 15 Kilometern Breite ist sie das größte Eiland unter den Sangihe-Inseln und Verwaltungszentrum des Kabupaten Sangihe. Das Expressboot fährt die Küste entlang nach Norden weiter, bis der graugrüne, 1.320 Meter hohe Awu sichtbar wird. Als dieser majestätische, vulkanische Schönling am 2. März 1856 ausbrach, kostete es 6.000 Menschen das Leben. Vor ihm liegt der Eingang in die Bucht von Tahuna, an deren Ende sich das gleichnamige Städtchen halbmondförmig einfügt, begrenzt durch eine ebenfalls halbrunde, stark bewaldete Bergkette im Hintergrund. Wir erreichen den Hafen, verlassen im Ameisengewimmel das Schiff und stehen ziellos am Ziel unserer Reise.

Die Reise nach Tahuna war vom 29. Juni bis 2. Juli 2009.

ZUM TEIL 2, ZUM TEIL 3

Bilderbogen

Die  Express Bahari im Hafen von Tahuna

Hafen von Siau

Hafen von Siau mit Vulkan Karangetang im Hintergrund

Blick auf Vulkan Awu, kurz vor Einfahrt in die Bucht von Tahuna

Zugang zur Bucht von Tahuna

In der Bucht von Tahuna

Hafen und Stadt Tahuna    Fotos: Markus Maesel

Kategorie(n): Geschichtliches und Völkerkundliches, Indonesisches und Manadonesisches, Mobiles und Zugiges

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