IM SANGIHE-TALAUD-ARCHIPEL

Der schwankende Weg nach Tahuna (Teil 2)

von Markus A. Maesel · 25.09.2009 · 1 Kommentar

Die Menschenmenge am Kai verläuft sich schnell. Schwiegervater Uske, Edy und ich besprechen uns noch wegen einer Unterkunft. Schwiegervater schlägt vor, in die Penginapan „Setia“ – die Pension „Treue“ – in der Jalan Ratulangi zu gehen. Die Fremdenpension gehöre einem Mann aus Airmadidi, einem Ort, der nur wenige Kilometer von unserem Heimatdorf Kaima entfernt ist. Nähe der Herkunft schafft Vertrauen. Erhalten hat er die Adresse von seinem Sitznachbarn auf der Express Bahari, einem pensionierten, ebenfalls aus Airmadidi stammenden Polizeioffizier, der als Veteranenbetreuer nach Tahuna unterwegs war. Mit einem Mikrolet – das ist ein blauer, als Sammeltaxi fahrender Toyota-Kleinbus – erreichen wir zu einem überteuerten Preis die Pension.

Inzwischen ist es dunkel geworden. Die Penginapan „Setia“ besteht aus einer offenen Halle mit Goldfischbecken, an deren Rand sich die Türen zu den einzelnen Zimmern befinden. Überall hängt noch die Weihnachtsdekoration vom Vorjahr. Große, rote Lettern auf goldenem Lametta begrüßen uns mit „Merry Christmas“. Da in einem halben Jahr das Fest der Feste wieder ansteht, kann das Glitzerwerk unbesorgt hängen bleiben. In der Halle treffen wir auch den pensionierten Polizeioffizier wieder. Wir erhalten zwei saubere Schlafzimmer, jedes mit landesüblichem Bad – dem Mandi. Eine Dusche sucht man im Mandi vergeblich. Stattdessen beherrscht ein tiefes, gemauertes Wasserbecken den Raum. Aus diesem schöpft der reinliche Mensch, ohne je Seife in das Becken gelangen zu lassen, mit einer Schöpfkelle – dem Gayung – Wasser, das er sich über Kopf und Körper schüttet. Im gefliesten Boden befindet sich ein Abfluss, damit die morgendliche und nachmittägliche Wasserschlacht ohne Folgen bleibt. Danach wird mit dem Gayung das Bad gereinigt, auf der Toilette ersetzt die oft herzförmige Schöpfkelle aus Kunststoff Wasserspülung und Klopapier.

Zum Essen empfiehlt uns der Inhaber der Pension das Restaurant „Bumbu Den“. Vom Eingang der „Setia“ einfach links, dann gleich wieder rechts und die Straße durchlaufen. Nach etwa einem Kilometer Fußweg erreichen wir das Lokal. Es ist groß, modern, neu mit Plastikstühlen möbiliert, aber menschenleer. Normalerweise ist dies in Indonesien ein Warnsignal, das Gasthaus nicht zu betreten. Die Lebensmittel in der Küche sind in so einem Falle meist nicht frisch und schnell bezahlt man für seine Unvorsichtigkeit mit tagelangem Durchfall, der in den Tropen so prosaische Namen wie „Bali Belly“ und „Montezumas Rache“ trägt. Doch wir vertrauen dem „Setia“-Besitzer und treten ein. Tatsächlich werden wir von der chinesischen Familie, die das Restaurant betreibt, mit frischen, gebackenen Fischen – besonders köstlich der Ikan Geropa –, frittierten Tintenfischringen, Mischgemüse und scharfem Sambal verwöhnt. Natürlich gibt es in der insularen Abgeschiedenheit auch Coca-Cola, sogar gekühlt. Willenlos kapitulieren wir vor dieser Speerspitze des US-Imperialismus. Das unbekannte philippinische Cola hatten wir zuvor misstrauisch abgelehnt.

Gesättigt treten wir den Heimweg an. Vor unserer Herberge sitzen der Inhaber und der Polizeiveteran aus Airmadidi beim Plausch. Sie laden uns ein, bei ihnen Platz zu nehmen. Was ich bisher bei den Minahasa erlebt habe, fragt mich der Inhaber. Ich erzähle daraufhin von meinen Reiseeindrücken, darunter auch die Teilnahme am Schweineleberorakel in Palamba. Dieses kennt er nicht und lässt es sich staunend von meinem Schwiegervater und dem Polizeioffizier a. D. erklären. Der „Setia“-Besitzer ist kein gebürtiger Minahasa. Der 68-Jährige stammt aus Gorontalo, war bis zur Rente Polizist in Airmadidi, und trat – was in Indonesien, dem größten Moslemstaat der Welt nicht ungefährlich ist – vom Islam zu den Adventisten über. Als Rentner hat er sich in Tahuna niedergelassen und die Pension „Setia“ aufgemacht. Daneben schmiedet er – wie wir später sehen – aus alten Autofedern landwirtschaftliche Gerätschaften. Er testet mich: „Mister Markus, kennst Du Sirih?“ Auch vom Betelkauen habe ich schon gehört und darüber gelesen. Ja, das sei das Zeug, das die Zähne schwarz und kaputt mache, entgegne ich. Er wehrt ab. Seine Großmutter in Gorontalo habe ein Leben lang Betel gekaut und als sie starb, waren noch alle Zähne in Ordnung. Zahnschäden seien nicht zwangsläufig. Nach einer kurzen Pause frage ich die Herrenrunde, ob sie Tabak kenne, den man sich in die Nase reibt. Nein, von Schnupftabak haben sie noch nie etwas gehört. Sie schütteln über diese kuriosen Europäer und ihren exotischen Gepflogenheiten nur fassungslos den Kopf. „Was menschliches Leben doch vielfältig ist“, resümiert der „Setia“-Besitzer beeindruckt.

Dann kommen wir auf die benachbarten Talaud-Inseln zu sprechen. Dort sei alles noch sehr ursprünglich, erzählt der Inhaber der Herberge. Sogar Spezialisten, die sich auf das „panggil ikan“ verstehen, gebe es noch auf den Eilanden. „Fische rufen?“, frage ich interessiert nach. Tatsächlich beschwören diese Ritualexperten die Fische, in die Netze der Inselbewohner zu schwimmen. Und die Netze seien danach wirklich voll, versichert er mir. Solche Spezialisten habe es früher auch viele bei den Minahasa gegeben, ergänzt Schwiegervater Uske. Jetzt gebe es nur noch einen Mann in Waleo, der das „Fische rufen“ beherrsche.

Sein Wissen wird er wohl ins Grab mitnehmen. Niemand kommt hier auf die Idee, alte Traditionen schriftlich festzuhalten. Und die althergebrachte mündliche Weitergabe des Wissens an die nächste Generation funktioniert nicht mehr, weil die Jungen – vermittelt durch das allgegenwärtige Fernsehen – westliche Erfolgs- und Lebensmodelle im Blick haben. Was Kolonialherren und Missionare über Jahrhunderte vergeblich zu eliminieren versuchten, erledigen die jungen Leute nun innerhalb weniger Jahre selbst mit ihrem Desinteresse und ihrer Überheblichkeit gegenüber den eigenen Wurzeln. Sie werden zu konsumgeilen Kultureunuchen, die nicht wahrnehmen, dass alte Menschen, wenn sie sterben, wie abbrennende Bibliotheken sind. Europäer können ins Bücherregal greifen und sich kulturell rückbesinnen. Minahasa haben diese Chance nicht. Sie können zwar alle lesen und schreiben, aber zwischen einer Alphabetisierung und der Entwicklung einer Schriftkultur liegt nochmals ein gewaltiger Schritt. Mit diesen kulturpessimistischen Gedanken im Kopf begebe ich mich zur Nachtruhe.

Als ich am nächsten Morgen die Halle betrete, thront Schwiegervater Uske bereits auf einem hochlehnigen, mit rotem Stoff bezogenen Sessel und parliert mit allen möglichen vorbeikommenden Menschen. Er genießt es, jenseits des dörflichen Alltags seiner Heimat neue Kontakte zu knüpfen. Von einer Tasse Tee oder Kaffee mit einem kleinen Schokobrötchen einmal abgesehen, gibt es in der „Setia“ kein Frühstück. Ab acht Uhr machen die Geschäfte in Tahuna auf und wir essen gleich um die Ecke bei einem Javaner Bakso kuah – eine Nudelsuppe mit Fleischklößchen – und gebratenen Tofu. Manchmal kommen Leute vorbei, die sich zum Mitnehmen Bakso in Plastiktüten abfüllen lassen. Zweifellos eine Herausforderung für jede vertriebsorientierte deutsche Tuppertante.

Ein heftiger Regen setzt ein, wir sitzen wieder in unserer Pension, noch etwas kraftlos von der langen Reise. Edy und ich legen uns noch etwas hin, Schwiegervater besteigt wieder seinen Thron in der Halle und pflegt Konversation. Gemeinsam mit dem „Setia“-Besitzer sinniert er über den moralischen Zustand Indonesiens nach. Die Menschen werden immer schlechter und korrupter, selbst in den Kirchen gehe es nur noch ums Geld. Und dann diese Heuchler, die sonntags fromm im Gottesdienst sitzen und die werktags ihre Mitmenschen beklauen.

Unseren Plan, ein Mikrolet mit Chauffeur für eine Inseltour zu mieten, begraben wir schnell wieder. Die geforderten 450.000 Rupiah (ungefähr 14.000 Rupiah = 1 Euro), auch noch verbunden mit Einschränkungen, sind einfach ein Wucherpreis. In Manado bezahlen wir bei einem Tagesausflug lediglich 300.000 Rupiah für ein Mikrolet, ohne wenn und aber.

Der Regen lässt endlich nach, der Himmel klart auf. Wir laufen zum Strand der nahen Bucht, genießen in der Mittagssonne den Ausblick auf Stadt und Hafen von Tahuna, mustern die Bucht umschließende Bergkette mit dem Fernglas. Sie ist dicht bewaldet, die vielen Palmen weisen auf einen sekundären Wald hin. Schwiegervater und Edy bewundern die vielen Nutzhölzer. Holzeinschlag ist in Tahuna wegen der Erdrutschgefahr streng verboten. Und da jeder in der Stadt auf die Bergkette schauen kann, funktioniert auch die gegenseitige soziale Kontrolle und damit die Einhaltung des Verbots. Für illegales Fällen eines Baumes stehen in Indonesien zehn Jahre Gefängnis. Zumindest auf dem Papier.

Ich finde die Fischerhäuschen, die sich den Strand entlang ziehen, und die im schwarzen Sand liegenden Auslegerboote malerisch und idyllisch. Deutsche Romantik. Schwiegervater Uske sieht hier hingegen ein großartiges Entwicklungspotenzial. Man müsste die Hütten abreißen und stattdessen ein Ressort mit hübschen Bungalows oder Cottages anlegen. Das wäre ein fantastischer Erholungsort. Indonesische Romantik, bei der ich befürchte, dass sie bei meinem nächsten Besuch eingetreten sein könnte.

Die Reise nach Tahuna war vom 29. Juni bis 2. Juli 2009.

ZUM TEIL 1ZUM TEIL 3

Bilderbogen

Hafen und Stadt Tahuna

Strand in Tahuna

Ignatius (Uske) und Edy Merung

Der Autor

Strand in Tahuna   Fotos: Markus Maesel

Kategorie(n): Geschichtliches und Völkerkundliches, Indonesisches und Manadonesisches, Mobiles und Zugiges

1 Beitrag der Leser

  • Markus A. Maesel

    // Aug 29, 2010 at 07:40

    Hier die Adresse der im Beitrag vorgestellten Pension in Tahuna:

    Penginapan “Setia”
    Jln. Dr. Sam Ratulangi
    Tahuna 95812
    Kabupaten Sangihe
    Indonesia
    Tel.: (0432) 21072

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