MARKTSCHREIER

Gardening und Homing

von Markus A. Maesel · 21.10.2009 · 1 Kommentar

Die Strahlen der spätherbstlichen Sonne streifen mein Reihenhausgärtchen. Vielleicht ist es die letzte Gelegenheit in diesem Jahr, in Ruhe auf der Terrasse ein kühles, feierabendliches Weizenbier zu genießen. Mit Glas und Bierflasche in den Händen will ich die Schwelle zum Garten überschreiten, doch mein Fuß stockt. „Bist Du überhaupt qualifiziert, dieses grüne Paradies zu betreten?“, bremst mich eine innere Stimme. „Wer bist Du?“, frage ich unsicher. „Ich bin das Gartenmarkt-Werbemännchen“, werde ich aufgeklärt. „Heute an Deinem Arbeitsplatz, als Du die Fachzeitschriften zum Bau- und Gartenmarkt ausgewertet hast, bin ich auf Dich übergesprungen. Keine Angst, ich meine es nur gut mit Dir“. Gönnerhaft schauen mich zwei große gelbe, blauumrandete Augen an, die einem Gnom mit rasenähnlichem, hellgrünem Haarkleid gehören. „Ich möchte Dir helfen, ein glücklicher Konsument, ein wahrer Mensch zu sein. Ich verwandle die wunschlose Wüste in Dir in eine Landschaft blühender Bedürfnisse“.

„Du bist privilegiert“, säuselt das Männchen weiter, „denn Du besitzt einen Garten, also etwas, das für viele Menschen ein Traum bleiben wird. Ein Garten steht für Einkommensstärke, er verleiht Dir Ausstrahlung, er macht Dich sexy“. Dabei mustert es irritiert mein kariertes Baumwollhemd, die ausgebeulten, blauen Jeans und die Björndal-Ökosandalen an meinen Füßen. Leise seufzt der grasgrüne Zwerg – ich scheine für ihn eine schwierige Lifestyle- und wirtschaftspädagogische Herausforderung zu sein.

Er baut sich vor mir auf und holt tief Luft: „Die Geografen haben einst die Erde durch den Äquator in eine Nord- und Südhalbkugel geteilt. Genauso wird die moderne und bunte Welt des Bau- und Gartenmarkts durch die Türschwelle in einen Indoor- und Outdoorbereich unterteilt. Mache Dir jedes Mal aufs Neue bewusst, dass Du Grenzgänger zwischen diesen beiden Hemisphären des Marktes bist. Dein Garten da draußen ist nicht einfach eine grüne Fläche, er lädt Dich zum Outdoor-Wohnen ein. Er schenkt Dir dank der Fachsortimente unserer Branche eine neue Gemütlichkeit. Klassischer BBQ-Grill? Wie spießig! Outdoor Cooking ist angesagt …“.

„Ich möchte eigentlich nur in Ruhe mein Weizenbier auf der Terrasse trinken“, wende ich schüchtern ein. „Papperlapapp, Du mit Deinen plebeischen Gelüsten“, fährt mich das Männchen an. „ Was ist diese schale Getreidebrühe gegen die Schönheit, gegen die lebensgestaltende Kraft des Marktes? Durch Konsum wirst Du eins mit Deinen Mitmenschen, Konsum ist gemeinsames Gebet zur unsichtbaren Hand, die unsere freie Wirtschaft lenkt; Konsum ist Solidarität; Konsum ist Nächstenliebe, weil er Arbeitsplätze und Unternehmen sichert. Wenn Du alter Hagestolz früher Kinder bekommen hättest, würdest Du jetzt schon wie Deine Altersgenossen zur Empty-Nest-Group gehören und Du könntest wie sie für den Outdoor-Bereich einkaufen und investieren. Im ewigen Kreislauf des allwissenden, weisen Marktes würdest Du Geborgenheit finden, würdest als Zahnrädchen im geschmierten Getriebe der Wirtschaft Deinen Platz, und damit auch Selbstvertrauen und Anerkennung finden“. Seine Stimme überschlägt sich, in hohem, schrillem Tonfall legt er fast schon hysterisch nach: „Akzeptiere doch endlich – Du bist nichts, der Markt ist alles“.

„Ich liebe mein Gärtchen aber naturbelassen“, versuche ich den marktfanatischen Liliputaner zu bremsen. „Ich brauche es eigentlich nur, um meine Seele baumeln zu lassen. Gartenarbeit begrenze ich auf das Notwendigste“. „Gartenarbeit? Gartenarbeit war gestern“, giftet der rasenbepelzte Gnom wieder los. „Heute kannst Du wählen zwischen Home Gardening, Urban Gardening, Container Gardening und Windowbox Gardening. Und für anarchische Subjekte wie Dich bleibt immerhin noch das Guerilla Gardening“. „Ist das Ho Chi Minh für revolutionäre Laubenpieper?“, frage ich spöttisch. Naserümpfend überhört der Zwerg meine unqualifizierte Bemerkung. „Kennst Du überhaupt die aktuellen Verbrauchertrends für den Garten? Erlebnisorientierung, Convenience und Homing? Und Green Design ist für Dich Waldschrat wohl auch kein Begriff?“, trumpft er auf.

„Ich brauche keine Karl Lagerfeld-Signaturen auf meinen Tulpen“, gebiete ich ihm barsch Einhalt. „Jetzt erzähle ich Dir einmal meine Marktgeschichte“. Erwartungsvoll schaut mich das Werbemännchen mit höhnisch verzogenen Mundwinkeln an. „Ein Tourist darf in einem Kloster bei Kartäusermönchen übernachten. Er ist sehr erstaunt über die spartanische Einrichtung ihrer Zellen und fragt die Mönche: ‚Wo habt Ihr Eure Möbel?’ Schlagfertig fragen die Mönche zurück: ‚Ja, wo haben Sie denn Ihre?’ ‚Meine?’ erwidert darauf der Tourist verblüfft. ‚Ich bin ja nur auf der Durchreise hier!’ ‚Eben’, werfen da die Mönche ein, ‚das sind wir auch’“.

Dann stelle ich das inzwischen warm gewordene Weizenbier auf den Küchentisch und hole eine Flasche Chartreuse Verte aus dem Schrank. Ich halte dem Männlein das Etikett vor die Augen. “Und das ist der zur Geschichte passende Kartäuserlikör, den ich jetzt brauche, um mein Inneres von Deinem Geschwätz zu reinigen”. Ich öffne den Schraubverschluss der Flasche. “Igitt, das riecht ja nach Klosteinen”, schüttelt sich der Gnom entsetzt, rennt atemringend ins Freie und erklimmt den Lattenzaun zum Nachbargrundstück, wo sicherlich mehr Marktakzeptanz auf ihn wartet. Erleichtert nippe ich an meinem Gläschen mit grünem Chartreuse.

„Du bist auf der Durchreise?“, meldet sich da plötzlich erneut eine innere Stimme. „Wer bist Du?“, frage ich den mit Glaswolle behaarten Zwerg, der mich mit großen gelben, blauumrandeten Augen treuherzig anschaut. „Ich bin das Baumarkt-Männchen“, gibt er sich zu erkennen. „Folge mir nach San Remo!“ „Nach San Remo?“ „San Remo steht für Sanierung-Renovierung-Modernisierung. Ich möchte Dir helfen, Dein verlottertes Reihenhaus auf Vordermann zu bringen. Ich führe Dich in das gelobte Land des Cocooning …“.

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches

1 Beitrag der Leser

  • helga moll

    // Okt 22, 2009 at 11:17

    Die ganze Zeit versuche ich mich schon vor unerwünschten Briefen, Mails und Telefonanrufen zu schützen? Kann ich jetzt noch ohne Probleme auf meinen Uralt-Urwald-Balkon oder versucht mich dieses Gartenmänchen auch nach SanReMo zu entführen? Hilfe!!!
    Helga

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Kommentar: