WORTHÜLSEN (2)

CEO & Co.

von Markus A. Maesel · 25.12.2009 · 3 Kommentare

Als Redakteur bin ich bei einer Fachzeitschrift unter anderem für die Personennachrichten zuständig. Täglich bekomme ich Pressemitteilungen, die verkünden, wer was in welcher Firmenhierarchie geworden ist. Wimmelte es vor nicht allzu langer Zeit in den E-Mails und Briefen noch von Vorständen und Geschäftsführern aller Art, sind diese heute eher Anwärter für das nächste Artenschutzabkommen. Denn im Karpfenteich deutscher Titelgemütlichkeit machen sich inzwischen Hechte anglo-amerikanischer Provenienz breit, deren glitzernde Schuppen die anderen Teichbewohner derart blenden, dass sie ohne Gegenwehr gefressen werden können.

So verspeist der hype Oberhecht, der schon allein durch seinen Gattungsnamen CEO – Chief Executive Officer – mehr Kraft und Kompetenz ausstrahlt, den rundlichen Vorstandsvorsitzenden und Geschäftsführer. Der CFO (Chief Financial Officer) frisst den angestaubten Finanzvorstand, der CTO (Chief Technical Officer) vermittelt mehr Maschinenkenntnis als der althergebrachte Technische Vorstand, der COO (Chief Operating Officer) macht dem Vorstand für das Operative Geschäft das Leben schwer, der CIO (Chief Information Officer) und CSO (Chief Sales Officer) stellen den IT-Vorstand und den Vertriebsvorstand in den Schatten. Neulich habe ich im Teich erstmals auch einen CRO (Chief Restructuring Officer) beobachtet; ein toller Hecht, der für die Neuorganisation eines Unternehmens zuständig sein soll.

Ein Blick in die Internetenzyklopädie „Wikipedia“ offenbarte mir, welche grausamen Titulaturen für Funktionen und Funktiönchen die nächsten Jahre noch auf mich zukommen werden. Bei der Fülle von einschmeichelnden Buchstabendreiklängen, seltener auch Vierklängen, lassen sich inzwischen Doppelbelegungen nicht mehr vermeiden. Finden wir uns in Zukunft also auch ab mit dem CAO (Chief Administrative Officer oder Chief Accounting Officer oder Chief Analytics Officer), CHRO (Chief Human Resources Officer), CIO (Chief Investment Officer), CLO (Chief Learning Officer), CMO (Chief Marketing Officer), CQO (Chief Quality Officer), CRO (Chief Risk Officer), CSO (Chief Scientific Officer oder Chief Security Officer), CBO (Chief Branding Officer), CCO (Chief Customer Officer), CDO (Chief Development Officer oder Chief Data Officer), CKO (Chief Knowledge Officer), CMAO (Chief Merging and Acquisitions Officer), CNO (Chief Networking Officer) und CPO (Chief Procurement Officer). Und verneigen wir uns als Vertreter der Alten Welt in Demut vor anglo-amerikanischer Brillanz und akzeptieren, dass mit CVO – Chief Visionary Officer – nicht Teresa von Avila, sondern Bill Gates gemeint ist.

Gehen wir mit deutscher Gründlichkeit und vorauseilendem Gehorsam allen voran, zeigen wir uns weltmännisch und schalten unsere Welt gleich. So wie beim Bologna-Prozess im Namen der Europäisierung alle Studiengänge in das Bachelor- und Masterschema gepresst wurden, werden im Zeitalter der Globalisierung alle Funktionsbezeichnungen den neuen Erfordernissen angepasst.

Zwingen wir Benedikt XVI. als obersten Seelsorger zur Einsicht und ersetzen den antiquierten Papsttitel durch die zeitgemäßere Bezeichnung Chief Pastoral Care Officer (CPCO). Sein Antipode, der durch die Medien geisternde Bordellbetreiber Bert Wollersheim, wird sich als Chief Prostitution Officer (CPO) wieder finden. Zum Chief Eroticism Officer kann der Puffveteran leider nicht veredelt werden, weil CEO bereits als höchster aller Titeldreiklänge für den Vorstandvorsitzenden reserviert ist.

Die Metzgerin meines Vertrauens wird zum Chief Butcher Officer (CBO) aufgewertet. Die Expertin für meine Hühneraugen darf ihre Kunst nur noch als Chief Podiatry Officer (CPO) ausüben. Der Schreinermeister um die Ecke wird zum respektablen Chief Woodworking Officer (CWO). Auch der Totengräber auf dem Mundenheimer Friedhof, dem einst meine Gebeine anvertraut werden, muss sich für diese Ehre als Chief Gravedigger Officer (CGO) beweisen.

Im völkerkundlichen Bereich wird aus dem Anführer einer Kopfjagd der Chief Headhunting Officer (CHO). Wenn er dabei besonders erfolgreich ist, kommt ihm womöglich auch noch der Titel „Headmaster“ zu. In diesem System findet selbst ein Osama Bin Laden als Chief Terror Officer seinen Platz, wenn er es schafft, den konkurrierenden CTO (Chief Technical Officer) aus der Worthülsenhierarchie zu bomben.

Und auch das Kind von Betlehem hat sich als Heiland und Erlösungsexperte endlich einmal den Erfordernissen dieser Welt anzupassen und wird als Chief Salvation Officer (CSO) eingestuft. Vor allem wird es keine Alleingänge über das Wasser mehr geben, ohne dass dies durch den allerhöchsten CEO mit Rauschebart abgesegnet wurde.

ZUM ERSTEN BEITRAG DER SERIE WORTHÜLSEN

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Heiliges und Unheiliges, Serielles und Fortgesetztes

3 Beiträge der Leser

  • Heriman

    // Jan 27, 2010 at 23:30

    Zu “Auch der Totengräber auf dem Mundenheimer Friedhof, dem einst meine Gebeine anvertraut werden…”

    Hm, das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen: Dein CGO wird wahrscheinlich in die Röhre schau’n. Der Mundenheimer Friedhof scheint ja nun wirklich nichts für Dich zu sein, oder?

    Zumindest könnte man den Eindruck bekommen, wenn man Deine anderen Beiträge unter “Kurpfälzisches und Südwestdeutsches” liest.

    Versteh’ mich bitte nicht falsch: Damit meine ich sicher nicht Dein immer wieder auftretendes Fernweh. Wer Bücher von Harrer gelesen hat, muss so denken. Das kann ich absolut nachvollziehen.

    Das einzige, auf das ich hier hinaus möchte, ist, ob der Gartenstädter Muff nicht doch bei aller grauer Durchschnittlichkeit von Bonifaz, Hochfeld und Hermann-Löns-Weg nicht doch eine irgendwo eine Heimat sein kann. - “Du graue Stadt am grauen Maudacher Bruch, und seitab liegt die Stadt…”

    Mir kommt Arno Reinfrank in den Sinn: Obwohl er im fernen London lebte, hatte er doch immer eine - wenn auch melancholische - Beziehung zu diesem ((scheiß)) Ludwigshafen (…auch wenn die Bindung bei ihm eher der Friesenheimer als der Mundenheimer Friedhof war.)

    Gut, gut. Das alles eigentlich nur nebenbei.

    Abgesehen davon, gebe ich Dir recht: Das ganze denglische Zeugs, das sich in unserer Wirtschaft breitmacht, ist wirklich “para vomita”.

    Aber: Ob man die Manschaften gut aufgestellt hat, damit man am Ende des Tages ausreichend Sinn gemacht hat, um die trockenen Tücher - - - neben dem Denglischen gibt es auch durchaus noch weitere Zeugnisse dieser Dummschwätzer. Vermutlch geht das nicht anders. “Darum fahren alle unsere Tage dahin durch deinen Zorn; wir bringen unsre Jahre zu wie ein Geschwätz.”

    Das alles hat seine Ursachen vermutlich in einer Mixtur von typisch deutschem presumtivem transatlantischem Gehorsam und paramondäner Wichtigtuerei.

    Und vermutlich können weder Du noch ich diese Tendenzen aufhalten.

    Sollen wir aber deshalb resignieren? Na ja. Es gibt Schlimmeres.

    Und da gibt’s eigentlich auch andere Lösungen. Und sei’s nur die mit Augenzwinkern. Hoch lebe der pseudokonformistischer Widerstand.

    Also: Wer nur den lieben CSO lässt walten… (filioque oder nicht).

    Viele Grüße,
    Heriman

  • stephan braun

    // Feb 3, 2010 at 11:42

    Hallo Markus,

    mal in der Kneipe schau ich einem Freund in den Geldbeutel
    - zeig mal Deine Karte; er gibt sie mir, ich verstehe NICHTS
    - Dreh sie um; eine Seite ist Deutsch die andere Englisch
    ich dreh die Karte um - auf der anderen Seite steht exakt das Selbe drauf

    Gruß Ste

    PS:

    Hans ist übrigens bei IBM, reist gerne nach Asien und schaut soviel ich weiß auch ab und zu auf Deine Seite

  • Markus A. Maesel

    // Jan 31, 2011 at 08:50

    Den Beitrag habe ich auch unter dem Nutzernamen “Tonaas” bei Zeit Online, Leserartikel veröffentlicht:
    http://community.zeit.de/user/tonaas/beitrag/2011/01/29/worth%C3%BClsen-ceo-amp-co

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