DER FALL VON MOMPRACEM

Sandokan

von Markus A. Maesel · 06.02.2010 · 2 Kommentare

Langsam stinkt es mir. Schon wieder muss ich eine Angriffswelle mit Sepoys spielen, die vergeblich versucht, auf der Insel Mompracem zu landen. Mompracem ist das graue Ikea-Sofa in unserem Wohnzimmer. Bis auf die Zähne bewaffnet mit Plastikgewehren aus meiner Kindheit, Stöcken und Kochlöffeln bildet die Pirateninsel vor der Küste Borneos eine unüberwindliche Barriere. Einige Holzlatten der Couch sind inzwischen durchgebrochen, Mompracem wankt, doch Sandokan – reinkarniert in meinem sechsjährigen Sohn – schwingt mit grimmigem Blick sein Kunststoffschwert und stößt martialisch den Tigerschrei aus. Am Pappkern einer Zewa-Rolle weht bedrohlich ein festgeklebtes Blatt Papier mit gelbem Tigerkopf auf rotem Grund. Und schon wieder muss ich als Sepoy – das ist ein Kolonialsoldat des weißen Raja von Sarawak, James Brooke – meinen Lebensgeist aushauchen.

So geht es mir seit Weihnachten, als ich mich in einem Anfall von 70er-Jahre-Nostalgie mit der DVD-Version der Miniserie „Sandokan – der Tiger von Malaysia“ selbst beschenkte. In einer schwachen Stunde habe ich auch meinen Sprössling in das exotische Geschehen hineinblicken lassen und seitdem habe ich verloren. Wieder donnert eine Kanonenkugel an mir vorbei. Jetzt muss ich die dritte Angriffswelle auf Mompracem spielen – nach schwarzvermummten Tauchern und Sepoys sind das die kopfjägerischen Dayaken. Mein Sohn ist Halbindonesier, seine Mutter eine Minahasa. „Die Minahasa waren früher Kopfjäger wie die Dayaken“, rufe ich ihm zu. „Jetzt weiß ich, warum ich so aggressiv bin“, entgegnet er und stößt erneut den Tigerschrei aus. Sandokan, der unbezwingbare malaiische Pirat, Rächer der Enterbten und Freiheitskämpfer gegen das englische Joch, läuft zur Hochform auf.

Nachdem Brooke mit seinen Schergen die Insel eingenommen hat, Lady Marianna tot ist und sein Blutsbruder Yanez de Gomera schwer verwundet, kommt für Sandokan die schlimmste aller Demütigungen. Ich schleppe ihn ins Bad, putze ihm die Zähne und stecke ihn in den Schlafanzug. Brooke, der weiße Raja von Sarawak, hat endgültig gesiegt, das Licht im Schlafzimmer geht aus. Morgen, am Sonntag, werde ich mich bemühen, den Tag pazifistischer zu gestalten. Ich werde Sandokan mit der Bergpredigt von Jesus konfrontieren. Obwohl ich befürchte, dass der Mann aus Nazareth beim Tigerschrei zusammenzucken wird.

Hier finden Sie die unverzichtbare Hintergrundmusik: „Sandokaaaan …“.

Kategorie(n): Ausgekramtes und Entdecktes, Geschichtliches und Völkerkundliches, Indonesisches und Manadonesisches

2 Beiträge der Leser

  • Helga

    // Feb 13, 2010 at 13:28

    Ob der “Sandokan” an der Bergpredigt interessiert ist? Muss man ihn dazu einfangen, fesseln und ruhigstellen?
    Gruß
    Helga

  • Anne

    // Feb 24, 2010 at 10:30

    Ist das moderne Friedenserziehung, was ihr da auf eurer Couch treibt? Schließlich dürfte Dein Sohn bis zur Pubertät seine kriegerische Phase völlig ausgelebt haben.
    Bis dahin tröste Dich lass Dir Deine Religion vom leidenden Gottessohn ein Trost sein!

    Anne

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