NEUE MOBILITÄT

Coffee to go

von Markus A. Maesel · 16.04.2010 · 6 Kommentare

„Draußen nur Kännchen“ ist für den äthiopischen Prinzen Asfa-Wossen Asserate ein hässlicher Satz, den es nur im Deutschen gibt. „Niemandem sonst leuchtet die Logik ein, warum man eine Tasse Kaffee nicht auch draußen trinken sollte. Ich bestelle dann immer eine Tasse Espresso, das geht. Es ist so sinnlos!“, erläutert der Blaublüter aus der Heimat des Kaffeestrauchs seine Kritik.

Der Ethnologe, Unternehmensberater und Spezialist für Manieren wäre sicherlich noch tiefer erschüttert, wenn er die Draußen-nur-Kaffeebecher-Kultur kennen lernen würde, die sich seit geraumer Zeit frühmorgens an deutschen Haltestellen und auf Bahnhöfen abspielt. Coffee to go nennt sich die neue Massenbewegung, die dem Stehkaffee den Rang abläuft. Bietet letzterer dem Wirtschaftsnomaden noch Momente kontemplativen Innehaltens, einen Freiraum auf dem Weg zur Arbeit, so ist ersterer bereits der Arbeit untergeordnet. Hier verläuft auch die Bruchstelle zwischen der klassischen Porzellantasse, die sehnsüchtig der Kaffeehauskultur und dem Damenkränzchen nachseufzt, und dem Papp- bzw. Plastikbecher der rastlosen Wegwerfgesellschaft.

Früher unterstrich der kleine und mittlere Angestellte seine Zeitnot und damit seine Wichtigkeit durch eine hastig gerauchte Zigarette in der Öffentlichkeit. Da in unserer Oben-unten-Gesellschaft die Zigarette immer mehr dem Unten zugerechnet wird, tritt an ihre Stelle Coffee to go. Hektische Schlucke an der U-Bahn-Haltestelle zeigen heute den jungdynamischen Aufsteiger. Selbst im Arbeitermilieu verdrängt der mobile Kaffee die morgendliche Flasche Bier oder Cola am Kiosk. Manche Zeitgenossen halten ihren Wegwerfbecher dabei in der Hand, als wollten sie gerade eine Urinprobe beim Arzt abgeben. Exemplare mit Trinkdeckel wirken wie Schnabeltassen auf einer Pflegestation. Schon einmal daran gedacht, zur weiteren Zeitoptimierung den Kaffee über eine Sonde einzunehmen?

Die Vielfalt der Coffee-to-go-Gesellschaft zeigt sich in ihren Behältnissen: No-name-Becher neben solchen mit Aufdrucken von Bäckereiketten und Tchibo; Starbucks Mitnahmekaffees, die oft mit einer weißcremig-schleimigen Masse angereichert sind. Sparsame, die ihren Wachmacher in Aldi-Thermobechern von zuhause mitbringen; Elitäre mit Designer-Thermobechern, die irgendeine Edelbrühe warm halten. An den Verkaufsständen kursieren teilweise abenteuerliche Schreibweisen des Produkts, wie „Kaffee to go” und „Caffè to go”. Als Alternative bieten sie inzwischen schon Tea to go für Magenkranke und andere Gesundheitsbewusste an.

Das To-go-Konzept ist ausbaufähig. Moebeldesign to go gibt es bereits. Der Straßenstrich könnte als Sex to go sein negatives Image aufpolieren; der biedere Obststand auf dem Markt käme mit Apple to go flotter daher. Der türkische Imbissstand könnte als Döner to go einen wichtigen Integrationsbeitrag leisten. Der verharmlosende Begriff „Verschlankung in Unternehmen“ würde als Jobs to go noch harmloser wirken; der schrottreife Kleinstwagen sollte als Gogo to go Abschied von der Konsumentenwelt nehmen dürfen.

„Der Kaffee muss so heiß sein wie die Küsse eines Mädchens am ersten Tag, süß wie die Nächte in ihren Armen und schwarz wie die Flüche der Mutter, wenn sie es erfährt“, sagt ein arabisches Sprichwort. Coffee to go hat keine Zeit, um sinnliche Aphorismen zu gebären. Von Kaffeehausliteratur ganz zu schweigen.

[Quellen: Philipp Schwenke: Deutschland, locker Vaterland (Gespräch mit dem äthiopischen Prinzen Asfa-Wossen Asserate). In: Zeit.de vom 15.09.2007; das arabische Sprichwort habe ich bei Aphorismen.de gefunden].

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Mobiles und Zugiges

6 Beiträge der Leser

  • Helga

    // Apr 16, 2010 at 10:29

    Hallo Markus,
    armes Deutschland - mehr kann ich dazu nicht bemerken. Lebensqualität ade ….

    Schönes Wochenende
    Helga

  • Heriman

    // Apr 17, 2010 at 09:17

    Hallo,

    mich erinnert diese “to go”-Seuche an die - wenn auch nicht ganz so schlimme “and more”-Unsitte: “Brötchen and more”, “Zeitschriften and more” und was sonst noch alles.

    Torte, Coffee to go, Brötchen and more:
    Come in and find out. - Komm rein, und dann nichts wie raus und geh’ schnell weg.

    Viele Grüße,
    Heriman

    PS: Ich habe den Beitrag zur neuen Mobilität meiner Frau vorgelesen. Sie war ebenso begeistert wie ich.

  • Heriman

    // Apr 17, 2010 at 09:26

    kleiner Nachtrag: Auf dem Link aphorismen.de (danke übrigens auch dafür!) habe ich gerade folgenden Spruch gefunden: “Operative Hektik ersetzt geistige Windstille. (Eugen Bleuler)”.

    Brains to go…

    Viele Grüße,
    Heriman

  • Markus A. Maesel

    // Apr 28, 2010 at 07:10

    Eine neue Variante auf einem Werbeplakat im Stuttgarter Hauptbahnhof: “Food to go”.

  • Markus A. Maesel

    // Dez 7, 2010 at 08:26

    Den Beitrag habe ich auch unter dem Nutzernamen “Tonaas” bei Zeit Online, Leserartikel veröffentlicht: http://community.zeit.de/user/tonaas/beitrag/2010/12/06/neue-mobilit%C3%A4t-coffee-go

  • Markus A. Maesel

    // Feb 10, 2011 at 10:50

    Jetzt auch noch Kaviar to go:
    http://www.welt.de/lifestyle/article12497120/In-Moskau-gibt-es-Kaviar-to-go-aus-dem-Automaten.html

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