KARFREITAG

Brief an Judas Iskariot

von Markus A. Maesel · 23.04.2010 · 2 Kommentare

Lieber Judas,

als Kind habe ich Dich erstmals in einem dieser italienischen Jesus-Filme wahrgenommen, die immer am Karfreitag liefen. Ich sah Dich fortrennen und dann hast Du Dich mit einem Fahrradschlauch – so sah ich das jedenfalls damals – an diesem kargen Baum aufgehängt.

Das hatte mich zutiefst erschüttert und das Bild habe ich noch heute im Kopf. Du warst der Verräter und vor allem der Mann, der sich mit dem Fahrradschlauch der Verantwortung entzogen hat. Petrus war auch ein Verräter, Paulus hat Christen gemeuchelt, aber beide hatten den Mut, mit ihrer Schuld, die sie innerlich nie so richtig los wurden, neu anzufangen.

Lange Zeit warst Du dann bei mir in der Schublade „Iskariot“ abgelegt und ich hatte Dich fast schon vergessen. Zwanzig Jahre später bist Du plötzlich in der barocken Benediktinerabtei Ochsenhausen wieder in mein Leben getreten. Ein alter Pater zeigte uns die Einzelporträts der Apostel im Mittelschiff der Klosterkirche und Du warst auch dabei. Ein Sachverhalt, der alle erstaunte. Der Geistliche sagte: „Ohne ihn wäre das Erlösungswerk Christi nicht möglich gewesen. Deshalb ist er hier zusammen mit den anderen Jüngern Jesu abgebildet“. Das Einfühlungsvermögen der Barockmenschen hatte Dir dein facettenreiches Menschsein zurückgegeben. Das hat mich sehr beeindruckt.

Aufgrund weiterer Beschäftigung mit Dir sehe ich Dich heute als politischen, kämpferischen Menschen mit einem zelotischen Messiasbild. Dir ging alles zu langsam und das Anliegen des Rabbi aus Nazareth hast Du wahrscheinlich erst verstanden, als Du ihn verraten hattest. Doch Du hattest nicht den Mut, neu zu beginnen und die Botschaft Jesu zu verkünden. Schade, es wäre eine Bereicherung gewesen.

Viele Grüße

Markus Maesel

Nachtrag: Zugegeben – Karfreitag liegt schon einige Tage zurück. Doch ich habe den Brief, den ich vor einigen Jahren bei einer Karfreitagsbesinnung schrieb, gerade bei der Ausräumung unseres Dachgeschosses wieder entdeckt. Außerdem – Karfreitag ist immer und überall.

Kategorie(n): Ausgekramtes und Entdecktes, Geschichtliches und Völkerkundliches, Heiliges und Unheiliges

2 Beiträge der Leser

  • Heriman

    // Apr 25, 2010 at 09:14

    Hallo,

    ein sehr interessanter Aspekt. Das (zugegebenerweise etwas extreme) Lied “Stand up for Judas” des schottischen Liedermachers Dick Gaughan weist in eine ähnliche Richtung:
    http://www.dickgaughan.co.uk/songs/texts/judas.html

    Vor kurzem bin ich über einen Text bei Leibniz gestossen, der auch die Verdammung des Judas Iskariot thematisierte (Bekenntnisse des Philosophen; 1673). Nach Leibnz hat nicht Gott den Judas verdammt, sondern dieser sich selbst:

    Zitat: “Th: ..Judas wurde verdammt. …Was also ist der Grund?
    Ph: …nämlich der beim Sterben in ihm brennende Haß gegen Gott: darin besteht das Wesen der Verzweiflung. Dies aber genügt zur Verdammung. …Aus dem Haß aber gegen Gott folgt das größte Leid, denn Haß bedeutet, am Glück zu leiden (wie lieben heißt, sich am Glück des Geliebten zu freuen), am meisten also am höchsten Glück. Das größte Leid ist Unglück, d. h. die Verdammung. Wer deshalb Gott im Sterben haßt, verdammt sich selbst. …
    Th: Doch woher kam seine Seele in diesen Zustand?
    Ph: …Er hatte durch den Verrat an seinem Meister gesündigt, weil er es gekonnt und gewollt hatte. Daß er es gekonnt hatte, gab ihm Gott. Gewollt hatte er es, weil er es für gut gehalten hatte.”

    Auch ein eindringlicher Apell, in keiner Situation zu verzweifeln…

    Viele Grüße,

    Heriman

  • Markus A. Maesel

    // Dez 7, 2016 at 12:27

    Papst Franziskus über Judas Iskariot:

    http://de.radiovaticana.va/news/2016/12/06/papstmesse_wer_z%C3%A4rtlichkeit_gottes_nicht_kennt,_kennt_nicht/1277126

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