TOTENGEDENKEN

Allerheiligen, das Afrikakorps und die Schildkröte

von Markus A. Maesel · 02.11.2010 · 0 Kommentare

An Allerheiligen und Allerseelen kehren schnell einmal fast vergessene Geschichten in die Erinnerung zurück, die uns Lebenden mit den Toten verbinden. Dieses Jahr war ich mit meinen Gedanken bei meinem Onkel Karl aus Mußbach in der Pfalz, der eigentlich als Cousin meines Vaters nur mein Großonkel war.

Wenn ich ihn als Kind mit meinem Vater an der Weinstraße besuchte, gab es für mich immer zwei Attraktionen: Einmal die Kuckucksuhr, vor der ich erwartungsvoll zu jeder vollen Stunde stand, und dann das Wohnzimmer, in dem Onkel Karl seine Erinnerungen aus dem Afrikakrieg untergebracht hatte. Im Schrank hing die schlichte Uniform, die er als Leutnant des Afrikakorps getragen hatte, ein Granatsplitter auf dem Schreibtisch diente ihm als Brieföffner. Er besaß noch mehrere Exemplare der Truppenzeitung „Die Palme“, deren Kopf tatsächlich ein solches Gewächs zierte. Besonders liebte er die Ausgabe mit der Schlagzeile „Tobruk gefallen – 4000 Australier in deutscher Gefangenschaft“. In seiner Fotosammlung beeindruckte mich besonders die Aufnahme einer italienischen Prinzessin im Leopardenfellmantel, die auf einem deutschen Panzer herumkletterte. Prinzessinnen in Grimms Märchen taten so etwas nicht. Für Onkel Karl war der Afrikakrieg eine Art Abenteuerurlaub gewesen, Rommel vergötterte er.

Als er in Nordafrika Heldenruhm sammelte, war mein Vater, 1936 geboren, noch ein kleiner Junge in Ludwigshafen-Gartenstadt. Eines Tages erreichte ihn in der gepflegten Langeweile dieses Stadtteils ein Paket aus Afrika. Als er es öffnete, befand sich darin eine lebende Landschildkröte. Onkel Karl hatte sie im Wüstensand gefunden, in ein Paket verstaut und per Luftfracht losgeschickt. In Rom wurde das Tier – mit frischem Futter versehen –  umgepackt und fand ohne alliierte Belästigungen seinen Weg nach Deutschland. Onkel Karl vergaß nie seinen kleinen, sensiblen Cousin Ottokar in der Pfalz.

Als mein Vater mit 40 Jahren an Lymphknotenkrebs starb, vermochte es Onkel Karl – inzwischen herzkrank – nicht zur Beerdigung zu kommen. Der Mann, der alle Schlachten des Afrikakrieges, von der Landung bis zur Kapitulation in Tunis, mitgemacht hatte, hätte diesen Einsatz nicht überlebt.

Kategorie(n): Ausgekramtes und Entdecktes, Geschichtliches und Völkerkundliches, Heiliges und Unheiliges, Kurpfälzisches und Südwestdeutsches, Tierisches und Pflanzliches

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