LITTLE INDIA

Alone with a Tiger

von Markus A. Maesel · 02.02.2011 · 0 Kommentare

Sommer 1996 in Singapur. Schwüle, drückende Tropenhitze liegt über der Stadt. Ich schlendere durch Little India, dem indischen Viertel im Umfeld der Serangoon Road. Little India mit seinem kolonialen Flair pflegt eine ruhigere Gangart in der Löwenstadt, abseits der hektischen Betriebsamkeit der chinesischen Bevölkerungsmehrheit. Hier bin ich gerne und oft. Ich beobachte die Inderinnen in ihren farbenfrohen Saris und Punjabi-Anzügen, ihr klassischer Goldschmuck schimmert im hellen Sonnenlicht; ich bin fasziniert von dem in vielen indischen Dialekten plappernden Menschengewimmel.

In kleinen Läden stehen große, offene Säcke mit tiefgelben, roten und braunen Gewürzmischungen herum, die die Luft mit ihrem intensiven Duft schwängern und mit Räucherstäbchen konkurrieren. In einem Geschäft stehe ich immer wieder vor einem Bild der Hindu-Göttin Kali in kitschigen Bonbonfarben und mit goldenem Plastikrahmen. Um ihren Hals trägt sie eine Kette von ausblutenden Männerköpfen, in jeder Hand hält sie einen weiteren Kopf am Schopf, ihre Beine bewegen sich zum Siegestanz. Kali ist die Göttin der Zerstörung, die Raum schafft für neues Leben. Kaufe ich diese martialische Schönheit oder nicht? Und wo hänge ich sie zuhause in der nüchternen Ludwigshafener Gartenstadt auf, ohne gleich als gemeingefährlich in die nächste Irrenanstalt eingewiesen zu werden?

Hungrig betrete ich ein belebtes Lokal. Es besteht lediglich aus einem großen, schlichten Raum mit einfachen Tischen und Stühlen. Hier duftet es nach köstlicher nordindischer Mughlai-Küche. Ich erhalte ein Plastiktablett mit Bananenblatt, auf dem sich dampfender Basmatireis, Gemüse und Lammgulasch befinden. Gierig saugt der blütenweiße Reis die stark gewürzte, braune Joghurtsoße auf.

Eine große, durchgekühlte 0,6-Liter-Flasche Tiger Beer darf dabei nicht fehlen. Diese älteste einheimische Biermarke mit Raubkatze auf blauem Etikett wird in Tuas, im Westen Singapurs, seit 1932 gebraut. Jahrzehntelang wurde das Gebräu mit dem Slogan „It’s Time for a Tiger“ beworben. Der englische Schriftsteller Anthony Burgess, der bei seinem mehrjährigen Aufenthalt im heutigen Malaysia dem Wonnentrunk wohl ausgiebig gehuldigt hatte, machte 1956 den Werbespruch zum Titel eines Romans - „Time for a Tiger“.

Der erste Schluck des Gesöffs verdampft hier in Äquatornähe sogleich in der ausgedörrten Mundhöhle, noch bevor er den Gaumen erreicht. Der zweite benetzt mit Ach und Krach gerade einmal die Kehle, und erst bei den weiteren Schlucken macht sich die ersehnte, herrlich herb-berauschende Kühlung breit, die bis in den letzten Magenwinkel reicht. Aufsteigende Kohlesäureblasen als Rückmeldung animieren zu einem unterdrückten Bäuerchen und mahnen eine längere Siesta an. Ein Vorgeschmack aufs Paradies.

Ich sitze bei einem älteren Inder am Tisch. Er ist ganz in Weiß gekleidet, mit ebensolcher Datschkappe und goldenen Ringen an den Fingern. Als er hört, dass ich aus Deutschland komme, schwärmt er von Made in Germany und zählt mir anerkennend deutsche Markennamen auf. Ich besäße doch wie alle Deutschen einen Mercedes. Als ich ihm sage, dass ich keinen Mercedes habe und nicht einmal ein Auto mein Eigen nenne, starrt er mich ungläubig an. Er fühlt sich nicht nur auf den Arm genommen, er kommt sich regelrecht verarscht vor. Wütend steht er mit einem rauen, kehligen Lachen auf und lässt mich, keines weiteren Blickes würdigend, alleine am Tisch zurück. Alone with a Tiger.

Kategorie(n): Ausgekramtes und Entdecktes, Genüssliches und Anregendes, Geschichtliches und Völkerkundliches

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