FORSCHERLUST

Privatgelehrte

von Markus A. Maesel · 09.03.2011 · 0 Kommentare

Für Privatgelehrte habe ich eine Schwäche. Wenn auch der österreichische Lustspieldichter Johann Nepomuk Nestroy spottete: „Es war ein Privatgelehrter, das sind diese rätselhaften Wissenschaftswesen, von denen man nicht weiß, kriegen’s deswegen keine Anstellung, weil sie zu wenig oder weil sie zu viel wissen“. Nestroys Privatgelehrter geht in Richtung des Spitzwegschen Armen Poeten. Genialität oder Skurrilität kommt aufgrund von Armut nicht zum Tragen. Die berühmt-berüchtigten verkrachten Existenzen.

Anders sieht die Lage bei Geistesmenschen mit Familienvermögen aus – sie sind die klassischen, erfolgreichen Privatgelehrten. Für ihren Forscherdrang sind weder verkrustete Universitätsstrukturen noch berufsfremde Erwerbsarbeit ein Hemmschuh. Sie können ihr Leben kompromisslos ihren Themen weihen.

Besonders bewundere ich in dieser Kategorie Miriam Rothschild, Spross der legendären Bankiersfamilie. Sie spezialisierte sich, wie schon ihr Vater und Onkel, auf die Erforschung der Flöhe, beschaffte sich die kleinen Blutsauger aus allen Erdteilen, untersuchte und systematisierte sie. Schon ihr Vater brachte es auf 100.000 Exemplare dieser Plagegeister in seiner Sammlung, die 800 Arten angehörten. Mit einer Stiftung hielt er die Flohforschung am Laufen. Miriam brachte die Flohforschung zur Vollendung, ihre flohologische Leidenschaft fand Niederschlag in einem sechsbändigen Katalog. Die „Herrin der Flöhe“ nannte man sie mit Ehrerbietung. Für mich ist sie die geheime Schutzpatronin der Privatgelehrten.

Meine wissenschaftlichen Flöhe hüpfen im Keller in Pappkartons herum. Materialien zum Mannheimer Borneo-Forscher Dr. Schwaner, zu einer kurpfälzischen Klostergeschichte, zum Osterinselbaum Toromiro, zum auf Sulawesi siedelnden Minahasa-Volk, zur Kopfjagd, zu Rindenbaststoffen (Tapa); Notizen zu einer Geschichte der Hofmohren und Ziereremiten. Flöhe mit geringer Sprungkraft, mit unterentwickelten Muskelpaketen an den Hinterbeinen. Flöhe, die aus Zeitgründen den Sprung in Bücher wohl nicht mehr schaffen werden, hustende Flöhe in sich ablagerndem Staub. Flohzirkus ohne Flohwalzer. Vielleicht gibt mir Miriam Rothschild aus dem Jenseits einen Tipp, wie ich meine Flöhe auf Vordermann bringe. Damit nicht nur die Bartstoppeln jucken.

[Zu Miriam Rothschild vgl. „Perlen der Armut“. In: Spiegel 51/1988 (auch digitalisiert bei Spiegel Online) sowie die entsprechenden Artikel in der englischen und deutschen Wikipedia; das Nestroy-Zitat verdanke ich Aphorismen.de].

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Sonstiges und Undefinierbares, Tierisches und Pflanzliches

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