BESENKUNST AUS INDONESIEN

Sapu lantai

von Markus A. Maesel · 16.03.2011 · 0 Kommentare

Aussterbende Handwerke sind nicht nur ein europäisches Phänomen, wie der Autor bei seinem Indonesien-Aufenthalt im Juli/August 2001 feststellen musste. Bei den Minahasa-Tonsea, die den äußersten Nordosten der Insel Sulawesi besiedeln, konnte er Ignatius Merung, den letzten traditionellen Besenbinder des 2000-Seelen-Dorfes Kaima, über seine Arbeit befragen und diese fotografisch dokumentieren. Herausgekommen ist die Spurensicherung eines Handwerks, das in absehbarer Zeit ebenfalls von der Plastikkultur überrollt werden dürfte.

Ignatius Merung sitzt oft auf dem Mauervorsprung neben der Hintertür seiner Wohnung in Kaima. An der Wand stehen in Reih und Glied halbfertige Besen als ob sie vor ihrem Meister salutieren wollten. Doch ihre Ehrengeste nimmt er nicht wahr, vertieft in seinen Gedanken gibt er wieder einem Besen den letzten Schliff. Manchmal schweift sein Blick über den Garten mit dem Badmintonfeld, den Bananenstauden, Palmen und Obstbäumen; gackernde Hühner laufen vor ihm auf und ab. Gelegentlich unterbricht ihn ein Ruf aus der Küche oder ein Nachbar, der sich zum Schwätzchen einfindet.

Besenmachen ist für den Sechzigjährigen eine von mehreren Erwerbsquellen. Lange arbeitete der gelernte Grundschullehrer als Büroangestellter in der 1000 km entfernten Metropole Makassar (Ujung Pandang). Er kehrte mit seiner Familie nach Kaima zurück, als sein Vater pflegebedürftig wurde. Seitdem arbeitet er in der Land- und Waldwirtschaft und stellt daneben seine Besen her. Das Besenbinden ist in seiner Familie seit mehreren Generationen Tradition. Ignatius Merung lernte von seinem Vater, der ebenfalls Grundschullehrer war, die Grundlagen des Handwerks innerhalb einer Woche. Die Perfektion kam aber erst nach jahrelanger Praxis.

Von vierzehn Geschwistern ist er der Einzige, der um das Handwerk weiß. Auch sein zweitältester Sohn hat bei ihm die Grundlagen des Besenbindens gelernt. Ihm fehlt jedoch die Übung, da er im fernen Jakarta lebt. So wird mit Ignatius in der Familie Merung und auch in Kaima die traditionelle Art des Besenmachens aussterben. Ignatius Merung schätzt seinen Nebenerwerb, da dieser ihm Heimarbeit und eine freiere Zeiteinteilung ermöglicht. An guten Tagen stellt er in 10 Stunden 20 Besen her.

Die Rohstoffe, die Ignatius Merung zum Besenbinden braucht, kosten ihn nichts. Sie wachsen alle in den Waldgärten (Kebong) und im Dschungel: Bambus (Bambu Jawa) für die Besenstiele, die Fasern (Ijuk, Gomutu) vom Stamm der Arengapalme (Pohon enau/aren, Arenga saccharifera, Zuckerpalme) für die Besen, Rattan (Rotan) zum Verschnüren. Er stellt vor allem die zeitaufwendigen Besen für den Hausbereich (Sapu lantai) her. Die Besen für den Hof (Sapu lidi) bedürfen hingegen keiner größeren Anstrengungen; sie werden aus den Blattrippen der Arengapalme gebunden.

Vor zwei Jahren ist ein weiterer, „moderner“ Besenmacher aus Rumengkor nach Kaima gezogen. Für seinen Konkurrenten hat Ignatius Merung jedoch nur ein mildes Lächeln übrig. Dieser binde seine Sapu lantai (Hausbesen) mit Plastikschnur, doch nur Rattan gebe dem Besen den richtigen Halt. Außerdem sei dessen Widerhaken für die Verankerung des Stiels im Besen nur mit einem kleinen Nagel befestigt, bei ihm hingegen sei dieser kreuzweise fest mit Rattan an den Stiel geschnürt. Deshalb hielten seine Besen sechs Monate, während bei denen seines Mitbewerbers schon nach einer Woche der Stiel herausrutsche. Die Merungschen Besen nach traditioneller Machart seien „paling kuat“ – die robustesten, meint er selbstbewusst.

Wichtige Abnehmer für seine Besen sind die Warung. Das sind Geschäfte, deren Größe zwischen Kiosk und Tante-Emma-Laden liegt. Sie zahlen ihm für einen Sapu lantai 2500 Rupiah (Rp.) und verkaufen ihn für 3500 Rp. weiter. (Zum Vergleich: Im August 2001 bekam man für 1 DM etwas mehr als 3800 Rp.). Gibt Ignatius Merung seine Sapu lantai direkt an Kunden ab, muss er ebenfalls 3500 Rp. verlangen, damit er nicht als Konkurrent zu den Warung auftritt. Die Warung vertreiben zwar auch Sapu lantai anderer Hersteller für nur 1500 Rp., aber deren Konkurrenz fürchtet er nicht. Qualität hat seinen Preis und seine traditionellen Besen sind Qualität. Merungs Sapu lidi (Hofbesen) kaufen die Warung für 1000 Rp. und verkaufen sie für 1500 Rp.

Seine Kunden sitzen in den Nachbardörfern zwischen Lembean und Treman, aber auch eine Schule in der 25 km entfernten Hafenstadt Bitung nimmt ihm jährlich 200 Sapu lantai und 100 Sapu lidi ab. Einmal hat ihm sogar ein Geschäftsmann aus der Hauptstadt Jakarta, ein gebürtiger Minahasa, 500 Besen abgekauft. Daran erinnert sich Ignatius Merung gerne, weil er so auch in der Ferne seine kleinen Kunstwerke gewürdigt sieht.

Herstellung der Sapu lantai (Hausbesen) in Einzelschritten

(1) Das Besenmaterial holt Ignatius Merung aus einem dschungelnahen Waldgarten (Kebong). Es handelt sich hierbei um die roßhaarähnlichen, schwarzen Fasern des Blattgrundes der Arengapalme (Pohon enau/aren, Arenga saccharifera, Zuckerpalme). Diese nennt man Ijuk (Indonesisch) oder Gomutu (Manado-Malaiisch). Bildet das Ijuk nach dem Ablösen vom Stamm eine geschlossene Matte, wird es zum Besenbinden verwendet. Ist es durchlöchert oder zerfetzt, dient es der Herstellung von Seilen. - Fotos: Markus A. Maesel

(2) Wichtige Werkzeuge sind das Péda taladu, ein breites, abgestumpftes Messer, sowie das längliche, spitze Péda tarius. Beide Bezeichnungen stammen aus der Manado-Malaiischen Sprache.

(3) Die Ijuk-Matte wird zweimal gefaltet: Zuerst werden die beide Seitenränder bis zur Mitte eingelegt und dann das Ganze nochmals in der Mitte gefaltet. Daraufhin wird die Matte auf einer Holzunterlage mit dem Péda taladu in 45 cm lange Abschnitte zerteilt.

(4) Jeder Ijuk-Abschnitt wird mit einer Bambusklammer (Jepitan) fixiert.

(5) Die Besenstiele (Tangkai sapu) werden sowohl mit Hilfe des Péda taladu als auch des Péda tarius aus einem dicken Bambusrohr (Bambu Jawa) gespalten. Ein Meter Bambu Jawa ergibt 15 bis 20 Besenstiele.

  

(6 und 7) Am Stielende wird durch Kreuzüberplattung ein Widerhaken geschaffen, der der Verankerung des Stiels im Besen dient. Die Kreuzüberplattung wird mit einem dünnen Rattanfaden kreuzweise fixiert.

(8) Aus Rattan (Rotan), den lianenartig wachsenden, stachligen Kletterpalmen, schneidet Ignatius Merung Schnüre zum Binden der Besen. Alternativ können auch Kordeln aus Ijuk genommen werden, die aber Ignatius Merung bei seiner Besenproduktion nicht verwendet.

(9 und 10) Nachdem die erste Naht gesetzt ist, wird der Besenstiel mit Widerhaken eingeführt. Die Löcher für die Durchführung der Rattanschnur werden mit einer schmalen Eisenstange in den Ijuk gebohrt. Mit einer zweiten und dritten Naht wird der Stiel im Besen stabilisiert. Nach jeder Naht wird die Bambusklammer versetzt.

(11) Zum Schluss wird das Ijuk oben eng an den Stiel geschnürt. Überstehendes Besenmaterial wird entfernt, die Kehrfläche des Besens mit dem Péda taladu begradigt.

(12) Die fertigen Produkte: In seiner linken Hand hält Ignatius Merung einen Sapu lantai (Hausbesen), in der rechten einen Sapu lidi (Hofbesen). Die Sapu lidi werden aus den Blattrippen der Arengapalme (Pohon enau/aren) gebunden. Hinter dem Meister seine „Werkstatt“.

[Vgl. Markus A. Maesel: „Sapu lantai“ – Besenkunst aus Indonesien. Besuch bei einem traditionellen Besenmacher. In: Holz-Zentralblatt Nr. 32 vom 15.03.2002, S. 402/403].

Nachtrag: Mein Schwiegervater Ignatius Merung hat 2004/2005 sein Handwerk aus Altersgründen aufgegeben. Traditionelle Besen habe ich seitdem in Kaima und Umgebung nicht mehr gesehen. Zuletzt bin ich 2009 dort gewesen. Vielleicht entdecken die Einheimischen aufgrund vorliegender Dokumentation den Wert und die Kunst der Besenbinderei eines Tages wieder. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Kategorie(n): Geschichtliches und Völkerkundliches, Handwerkliches und Kreatives, Indonesisches und Manadonesisches

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