PIETÄT

Ehrlichkeit in Macau

von Markus A. Maesel · 19.07.2011 · 1 Kommentar

Die meisten meiner Sehnsuchtsorte konnte ich bisher nur durch das Lesen von Büchern bereisen, da ihre Entfernung von meinem Ludwigshafener Domizil in umgekehrt proportionalem Verhältnis zum Inhalt meines Geldbeutels steht. In den letzten 25 Jahren war ich auf meinen imaginären Reisen immer wieder in Macau, der ehemaligen portugiesischen Kolonie an der Küste Südchinas, gegenüber Hongkong.

Auf dem höchsten der sieben Hügel Macaus liegt das Guia Fort mit seiner Kapelle aus dem frühen 17. Jahrhundert, daneben wurde 1865 etwas lieblos ein Leuchtturm hingequetscht. Über die Brüstung der Festung hinweg bietet sich dem Besucher ein fantastischer Ausblick auf die Stadt und das Meer. Schwermütige Fado-Klänge durchdringen die schwülwarme Luft, Dschunken gleiten träge durch silbergraue Wellen. Doch mich zieht es weg von diesem Anblick zum Eingang der Kapelle, wo sich ein ungewöhnlicher Grabstein befindet. Er verkündet in lateinischer Sprache: „Zu seinem Glück oder auch nicht, liegt unter dieser Türschwelle der Küster begraben, da er keine ehrenvolle Beerdigung verdient. 1687.1720 anno“.

Von den Schandtaten des Kirchendieners ist nichts überliefert, in den letzten 291 Jahren dürften Hunderttausende von Menschen über seine Gebeine hinweggegangen sein. Ein ehrlicher Umgang der Zeitgenossen mit einem Bösewicht auch im Angesicht des Todes und über den Tod hinaus. Vor allem ehrlicher als der vermeintlich pietätvolle Grundsatz: „Über Verstorbene soll man Gutes reden oder schweigen“.

[Inschrift zitiert nach Uli Franz: Hongkong, Macau, Kanton. Köln, 4. Auflage 1989 (Du Mont „Richtig Reisen“), S. 218].

Kategorie(n): Sonstiges und Undefinierbares

1 Beitrag der Leser

  • Heriman

    // Jul 23, 2011 at 06:10

    Hallo

    ist das wirklich ein ehrlicher Umgang?

    Es ist keineswegs klar, ob dieser Kirchendiener wirklich eine Schandtat begangen hat. Die Rechtsauslegung war und ist an vielen Stellen der Welt mehr als willkürlich.

    Und selbst falls er ein Verbrecher gewesen sein sollte: Eine Rache über den Tod hinaus empfinde ich keineswegs als christlich, sondern das ist nach meinem Dafürhalten einfach nur schäbig.

    Ich würde dem Kirchendiener gerne ein Lessingzitat auf seinen Stein dazu schreiben:

    “Wie lange ist’s, so bin ich hin
    und einer Nachwelt unter Füßen.
    Was braucht sie, wen sie tritt zu wissen,
    weiß ich nur, wer ich bin.”

    Grüße

    Heriman

    PS: Auf dem Boden von Kreuzgängen und Kirchen gibt es viele Grabplatten von Kirchenfürsten, unter denen sich oft auch noch die zugehörigen Toten finden. Auch über diese gehen die Leute oft achtlos drüber weg. Unser Kirchendiener ist da in guter Gesellschaft.

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