SELBSTMORDSTATISTIK

Gefährdete Schwaben

von Markus A. Maesel · 07.09.2011 · 1 Kommentar

Jetzt hat Thilo Sarrazin, der allgegenwärtige Integrationskritiker („Kopftuchmädchen“) und Berufsapokalyptiker („Deutschland schafft sich ab“), auch mich verunsichert. Die Schwaben hätten die höchste Selbstmordrate in der Bundesrepublik, gab er gerade in einem Interview bei „Zeit-Online“ kund. Das Grüblerische, das die deutsche Innovationskraft und den damit verbundenen Wirtschaftserfolg ausmache, sei bei ihnen besonders ausgeprägt. Kehrseite der Medaille: Württemberg, das führende Land der Tüftler und Ingenieure, ist auch das Land der Urnen und Särge.

Doch was wird aus mir, wenn sich die Erfolgsschwaben wie die Lemminge selbst dahinmorden? Mit vielen Türken im schwäbischen Wirtschaftsparadies teile ich nämlich nicht nur den Schnurbart sowie die Lust auf Döner und Lahmacun, sondern auch die Gastarbeiterbiografie. Als Berufspendler aus der Pfalz hängt mein Wohl und Wehe über den Länderfinanzausgleich gar in doppelter Weise von den Schwaben ab.

Wie kann ich als minderkreativer Genusspfälzer den mich umgebenden schwäbischen Leistungsträgern helfen, damit sie im seelischen Gleichgewicht bleiben?

Zunächst ist Erste Hilfe angesagt. Ich ermahne in den Stuttgarter U-Bahn-Stationen meine schwäbischen Mitmenschen, dass sie hinter der roten bzw. weißen Sicherheitslinie vor der Bahnsteigkante stehen bleiben. Am Arbeitsplatz kontrolliere ich, dass bei meinen Kollegen die Fenster fest geschlossen sind. Denn mit jedem Schwaben, der über die Brüstung springt, stirbt eine potenzielle Unternehmensgründung.

Als nächster Schritt wäre für die akuten Fälle ein Schwabengenesungswerk zu gründen. Für diesen guten Zweck bin ich bereit, mir monatlich fünf Euro per Dauerauftrag von meinem Konto abbuchen zu lassen. Nur fünf Euro für diese härene Aufgabe? Die schwäbische Sparsamkeit ist in mein Pfälzer Blut übergegangen. Schließlich lässt sich laut WWF-Werbung bereits mit einer monatlichen Spende von drei Euro der Lebensraum des Orang-Utans auf Borneo und Sumatra erhalten. Dann werden doch auch fünf Euro für die Seelenrettung des Schwaben genügen.

Als weitere Quellen schwäbischen Seelenleids habe ich den Trollinger und den Pietismus ausgemacht. Trollinger ist Selbstkasteiung in Viertelesgläsern. Spritziger Pfälzer Riesling in Schoppengläsern (1 Schoppen sind 0,5 Liter) könnte dagegen zergrübelte schwäbische Tüftler wieder an die Lebensfreude heranführen und noch ganz andere Innovationen auslösen. Man müsste daher in einer groß angelegten Rettungsaktion schwäbische Wirtschaftslemminge vom Stuttgarter Weindorf zum Dürkheimer Wurstmarkt („Derkemer Worschtmarkt“) karren.

Dass die Flucht in die schwäbische Volksdroge Pietismus keinen Ausweg aus dem Pessimismus darstellt, macht das „Fünf-Brüder-Bild“ (Link zum Gemälde) deutlich. Wer sich zu diesen fünf Größen württembergischer Innerlichkeit in die karge Studierstube hinzusetzt, den erwartet Platzangst, Fundamentalismus und Mineralwasser. Da gesellt sich zur Erfolgsdepression die spirituelle Depression noch hinzu.

Wichtig ist jetzt ein Hoffnungszeichen zu setzen und den suizidgefährdeten Wirtschaftsschwaben Mut zu machen. Man sollte an sie den Anstecker der Gegner des Stuttgarter Tiefbahnhofs S 21 verteilen. „ Oben bleiben“ steht auf ihnen geschrieben. Und nicht in der Grube landen.

[Quelle: „Boah, ey, der Sarrazin!“ (Interview mit Thilo Sarrazin). Von Özlem Topcu/Bernd Ulrich. In: Zeit-Online vom 29.08.2011].

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Kurpfälzisches und Südwestdeutsches, Makaberes und Skurriles

1 Beitrag der Leser

  • Petra Reith

    // Sep 8, 2011 at 07:59

    Klasse!

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