ALLMACHT

Gegen den Paragraphen-Gott

von Markus A. Maesel · 15.09.2011 · 2 Kommentare

Fundamentalisten, Traditionalisten, Konservative und Orthodoxe aller Hochreligionen wissen wie Gott funktioniert. Sie deuten in ihre heiligen Bücher und missdeuten jedes Wort darin als göttliche Selbstoffenbarung. Die Buchstabengläubigen pressen ihn in Katechismen, Regelwerke und Rechtsordnungen. Sie weisen ihm heilige Orte und Gebäude als Aufenthalt zu und machen ihm klar, über welche Rituale er sich zu freuen hat.

Die Wissenden bilden gerne Priesterkasten, die sich in wallenden Gewändern, mit steifem Kragen oder in dunklem Anzug mit Krawatte zwischen Gott und die Menschen schieben. Ohne Sekretärin gibt es keinen Termin beim Chef. Sind sie in der Mehrheit, fordern sie von den Menschen etwas ein, was sie selbst nicht leisten: Demut und Unterwerfung gegenüber ihrem Gotteskonstrukt. Sind sie in der Minderheit, spielen sie beleidigt das letzte Fähnlein der Aufrechten, begreifen sich als „heiliger Rest“. Sie grapschen nach Gott und degradieren ihn zum Götzen. Busengrapscher werden strafrechtlich verfolgt, Gottes(be)grapscher hingegen als Theologen gefeiert.

Vor Jahren war im Fernsehen ein Jude in einem idyllischen Moschaw, einer Light-Version des Kibbuz, in Israel zu sehen. Ihn umgaben Ehefrau und Kinder, alle in orthodoxer Kleidung. Erst spät hatte er zu seinem Leben als strenggläubiger Jude gefunden und beachtete nun gewissenhaft die 248 Gebote und 365 Verbote seiner Religion. Warum er den Schritt in die Orthodoxie getan habe? „Ich habe eine Betriebsanleitung für Gott gesucht“, erklärte der gelernte Maschinenbauingenieur.

Der Naturwissenschaftler hatte Gott für sich beherrschbar gemacht. Er tauschte Un-begreif-barkeit bzw. Un-begrapsch-barkeit gegen vermeintliche Sicherheiten ein. Alle Fundamentalisten verfahren in dieser Weise. Wenn Gott dennoch aus ihrem Korsett ausbricht, geht das Gezeter los: „Wo warst Du Gott in meinem Unglück?“ „Bestrafst Du uns, weil wir nicht streng genug den Regeln gefolgt sind?“ Es kommt die Rede von Gottesfinsternis und Gottesferne. Wie konnte er auch nur den goldenen Käfig der Bigotten verlassen.

Dabei hat Gott sich schon früh den Menschen als der Unbegrapschbare offenbart. Der jüdisch-christliche Gott verweigert den Erdenbewohnern seinen wahren Namen und stellt sich lediglich als „Jahwe“ vor, als „Ich bin der ich bin“ oder „Ich bin da“. Allah, der Gott des Islams, ist zwar mitteilsamer und vertraut den Menschen 99 seiner hundert Namen an. Den letzten gibt aber auch er nicht preis.

Empört werden jetzt die Wortgläubigen protestieren und sagen, dass sie tagtäglich die Allmacht Gottes als Glaubensbekenntnis an vorderster Stelle verkünden. Doch dann wenden sie sich wieder flugs ihren sicheren Regelwerken zu und basteln weiter an der Gottesmaschine – deus ex machina.

Letztendlich bleibt dem suchenden Menschen nur das stille, staunende Verweilen vor der Größe Gottes. Die Unsicherheit ist die Freiheit Gottes. Und damit überschreitet der Mensch die Schwelle zur Mystik.

Kategorie(n): Heiliges und Unheiliges

2 Beiträge der Leser

  • Anne

    // Sep 16, 2011 at 16:17

    Da bin ich ganz mit Dir einig. Nur, der Gott der Mystik entzieht sich unserem Ahnen, sobald wir selber die kleinsten Egoismen aufkommen lassen. Er ist im Empfinden groß und du mit ihm, wenn du dich in ihm aufgibst. Dieser Gott lässt sich nicht erzählen. Er braucht keine Religionsgemeinschaften, er macht dich aber fähig zu Geschwisterlichkeit.
    Ich bin sehr froh, dass es Dich gibt, Markus!
    Anne

  • Helga Moll

    // Sep 25, 2011 at 11:13

    Schade, dass zu wenige Leute deine Artikel lesen, viele würden dir zustimmen. Ich habe den Artikel an einen mir befreundeten Theologen gesandt, der schon seit 38 Jahren kein Mönch mehr ist und mit Frau und drei Kindern glücklich wurde.
    Helga

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