Das Fach Mathematik war von Anfang an die Achillesferse meiner Schullaufbahn. Mein Vater spottete über mich: „Deutsch und Religion sehr gut, Mathematik sechs“. Der Mathelehrer an der Realschule: „Maesel, was stützt Du den Kopf, Stroh wiegt doch nicht viel“. Nach dem Gymnasium, als das Urnenmodell von Kolmogorov beinahe mein notenmäßiges Waterloo geworden wäre, schwor ich mir: „Nie wieder Mathe!“ Und wandte mich den Geisteswissenschaften zu.
Den Schwur hielt ich zwanzig Jahre eisern durch, dann kam nach und nach mein Nachwuchs auf die Welt und die Grundschule immer näher. Ich ahnte Schlimmes, über mir schwebte ein Damoklesschwert in immer kürzeren Abständen, auf dessen Klinge „Textaufgaben“ geschrieben stand. Mein mathematisch-naturwissenschaftlicher Vater scheiterte daran, mir den Sinn solcher Aufgaben zu erschließen. Kurz darauf verstarb er. Texte waren für mich immer bunte Geschichten und keine langweiligen Mathematikaufgaben.
Dann kam mein Sohn in die Grundschule. Ein mathematisch-technisch begabter Freund versprach mir nach dem vierten oder fünften Hefeweizenbier (Paulaner dunkel) im Schatten des Speyerer Domes hochheilig, mir bei Textaufgaben zu Hilfe zu eilen. Jetzt ist mein Sohn in der zweiten Klasse, die Textaufgaben gehen los und mein Entsatzkommando sitzt irgendwo in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich muss mich also selbst den Textaufgaben stellen und solche realitätsbezogen formulieren.
Heute Abend schauten mich die dunklen Augen meines Sohnes erwartungsvoll an. „Also mein Sohn, Dein indonesischer Opa in Manado (ein Angehöriger des hundeverspeisenden Minahasa-Volkes in Nord-Sulawesi) kauft vier junge Hunde und zieht sie groß. Nach eineinhalb Jahren schlachtet Opa die Tiere, zerlegt jedes in 25 Gulaschstücke und brät sie mit scharfen Gewürzen vermischt in der Pfanne. Wie viele Fleischstücke hat Opa Uske zum Schluss in der Schüssel auf dem Tisch? Mein Sohn weigerte sich die Aufgabe zu lösen, er ist Vegetarier. Und nun?
Noch keine Beiträge der Leser
Hinterlassen Sie einen Kommentar