KRAFTQUELLE

Von Trappisten und Chassidim

von Markus A. Maesel · 03.10.2012 · 0 Kommentare

Vor mehr als 30 Jahren gab mir meine Religionslehrerin Elfriede Rothgang, deren geistlicher Begleitung und Führung ich für mein späteres Leben sehr viel zu verdanken habe, einen Erfahrungsbericht des niederländischen Theologen und Psychologen Henri J. M. Nouwen zum Lesen. Nouwen durfte 1974 sieben Monate in einem amerikanischen Trappistenkloster mitleben. Die Trappisten sind ein strenger Schweigeorden, daher wohl auch der Titel des Buches „Ich hörte auf die Stille“. Bis heute ist es für mich eine unschätzbare spirituelle Kraftquelle. Nouwens Werk war mit ein Grund, weshalb ich als junger Mann über Jahre viel Zeit bei Franziskanern, Benediktinern, Zisterziensern, Kartäusern und Trappisten verbrachte. Wie in keinem anderen Buch finde ich hier immer wieder Antworten bei meiner Gottessuche und damit für das Leben. Vor einigen Wochen habe ich es wieder aus dem Regal geholt, lese darin auf dem langen Weg zur Arbeit oder kurz vor dem Schlafengehen. Zu meinen Lieblingsstellen gehört immer wieder eine Passage, die Nouwen aus Elie Wiesels „Souls on Fire“ zitiert:

„Ein Schüler klagt dem Kozker sein Leid: ‚Ich stamme aus Rischin. Dort ist alles einfach, alles klar. Ich habe gebetet, und ich habe gewusst, dass ich betete. Ich habe studiert, und ich habe gewusst, dass ich studierte. Hier in Kozk ist alles durcheinander und verworren. Ich leide darunter, Rabbi. Schrecklich. Ich bin verloren. Bitte, hilf mir, dass ich beten und lernen kann wie zuvor. Bitte, hilf mir, meinem Leiden ein Ende zu machen.’ Der Rabbi sieht seinem traurigen Schüler in die Augen und fragt ihn: ‚Wer hat dir je gesagt, dass Gott an deinen Studien und Gebeten liegt? Könnte es nicht sein, dass ihm deine Tränen und deine Leiden viel lieber sind?“

Ich liebe diese hoffnungsvolle Melancholie des chassidischen Judentums; diese Weisheit, die festgefahrene und bequeme Gottesbilder stets auf den Kopf stellt, diese herbe Mystik, die die Seele entgiftet. Ich danke Nouwen, dass er diese Erzählung für das Christentum fruchtbar gemacht hat. Auch wenn es pervers klingen mag, mich verführt diese Geschichte immer wieder zum Optimismus. Und sie ermöglicht mir auch in schweren Zeiten dankbares, stilles Verweilen vor Gott.

[Quellen: Henri J. M. Nouwen: Ich hörte auf die Stille. Sieben Monate im Trappistenkloster. Freiburg/Basel/Wien 1982, 7. Auflage, S.127; Elie Wiesel: Souls on Fire. Portraits and Legends of Hasidic Masters. New York 1972, S. 235].

Kategorie(n): Heiliges und Unheiliges

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