HAARIGES

Der Schnurrbart

von Markus A. Maesel · 19.11.2012 · 2 Kommentare

Ich bin bekennender Schnurrbartträger, seit meiner frühesten Jugend, als sich der Flaum im Gesicht endlich zum Bart verdichtete. Ohne Schnurrbart oder Schnauzer, wie er auch genannt wird, fühle ich mich nackt. Mein Gesicht kommt mir dann wie ein rosarotes Paviangesäß vor. Eine Schnurrbartrasur hat für mich etwas von Entmannung, nach einem solchen Akt könnte ich mühelos den letzten vatikanischen Kastratensänger Alessandro Moreschi mit einem noch glockenhelleren „Ave Maria“ an die Wand singen. In meiner Jugendzeit, die Ende der 70er bis Anfang der 80er-Jahre angesiedelt war, trug fast jeder meiner Altersgenossen einen Schnurrbart und die Erwachsenen sowieso. Danach starb er nach und nach in den meisten Gesichtern ab. Das letzte Fähnlein der Aufrechten muss sich heutzutage für seine Oberlippenzierde schmähende Titulierungen wie „Pornobalken“ und „Schenkelbürste“ gefallen lassen, nur weil in Sexfilmchen der 70er-Jahre der Schnauzer für die männlichen Darsteller als Berufsbefähigungsnachweis galt. Schnurrbart steht heute für Unterschicht; die von „Welt Online“ vor fast vier Jahren propagierte Renaissance des Schnurrbarts ist mir bisher nicht aufgefallen. Historisch gesehen war der Schnurrbart nie groß in Mode, von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und den 1970er-Jahren einmal abgesehen. Man könnte ihn als Entgleisung der Bartgeschichte bezeichnen.

Vor einigen Tagen stand ich abends mit dem Rasiermesser vor dem Spiegel und prüfte kritisch meinen Schnurrbart. Die ersten grauen Haare lassen ihn ruppiger erscheinen. Meine wesentlich jüngere Gemahlin meinte, ohne Schnauzer würde ich frischer und weniger streng aussehen. Mein Zwirbeln an den Schnurrbartspitzen beim Nachdenken nervt sie zudem fürchterlich. Ich solle ihn abrasieren, lautete das vernichtende Urteil. Zufälligerweise trat die fünfjährige Tochter ins Bad ein und erahnte entsetzt mein Vorhaben. Der Schnurrbart müsse bleiben, beharrte das Mädchen energisch. Welcher Vater ließe sich nicht von seiner Tochter um den Finger wickeln? Und schließlich sagt meine 80-jährige Tante bis heute: „Ein schöner Mann trägt immer einen Schnurrbart“.

Mir kommt der französische Kavalleriegeneral Gaston de Galliffet (1830-1909) in den Sinn, ein galliger Schnurrbartträger, den die aufkommenden Automobile und zigarrerauchende Frauen in Rage brachten. Als er nach einem Diner einmal sah, wie sich eine junge Dame eine kleine Cheroot anzündete, marschierte er mit „gesträubtem Schnauzbart“ – so ist es im Zigarren-Brevier von Zino Davidoff überliefert – auf sie zu, legte ihr väterlich den Arm um die Schultern und knurrte, indem er sie mit sich zog: „Kommen Sie, meine Liebe, gehen wir pissen …“. Unter Emanzipationsgesichtspunkten ist diese Anekdote natürlich ein fürchterlicher Fauxpas, rein haarig gesehen jedoch ein Zeugnis für die Autorität, die ein Schnurrbart früher ausstrahlen konnte. Eine gewachsene Autorität, fern der „Mag ich“-Mausklick-Identitäten auf Facebook.

[Quellen: Der Schnurrbart – gestern peinlich, heute cool? In: Welt Online vom 10.02.2009; Art. „Gaston de Galliffet“. In: Wikipedia (mit imposantem Schnurrbartfoto); Zino Davidoff: Zigarren-Brevier oder was raucht der Connaisseur. Wien 1986, 6. Aufl., S. 56 (vgl. auch: Charuto é só para homens? In: Taste vom 10.04.2001)].

Kategorie(n): Sonstiges und Undefinierbares

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