EIN NICHTVERHÄLTNIS

Berlin

von Markus A. Maesel · 10.01.2013 · 4 Kommentare

„Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin …“ – diesen von Marlene Dietrich oft vorgetragenen Schlager werden Sie von mir wahrscheinlich nie hören. Ich war in den 50 Jahren meines Lebens noch nie in der deutschen Hauptstadt, die in ihrer Geschichte meist autoritäre Regierungen beherbergte. Der Umzug von Bonn nach Berlin war mir daher immer suspekt, Frankfurt mit der demokratischen Tradition der Paulskirche wäre für mich die eigentliche deutsche Hauptstadt gewesen. Oder aus Kostengründen einfach weiterhin Bonn. Paris, Luxemburg, Den Haag, Kopenhagen, Oslo, Wien, Vaduz, Andorra, Rom, Vatikanstadt, Singapur, Jakarta, Kuala Lumpur, Zwischenlandungen in Athen, Dubai und Bangkok sind meine bisherigen Hauptstadterfahrungen. Einziger Grund Berlin zu betreten, wäre für mich das Völkerkundemuseum in Berlin-Dahlem. Aber so übermäßig ist der Drang jetzt auch nicht.

Bei der Schulabschlussfahrt 1982 konnten wir zwischen Rom und Berlin wählen. Aufgrund meiner katholischen Sozialisation bin ich lieber nach Rom gefahren als in das protestantische Berlin. Und was ist die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gegenüber dem Petersdom oder Santa Maria Maggiore? Irgendwann habe ich in einer Zeitung gelesen, wenn man im Bundestag in Berlin über Provinz spreche, denke man sofort an Rheinland-Pfalz. Als Pfälzer hat mich das gekränkt. Kränkend fand ich auch, dass man unseren Ministerpräsidenten damals in seiner Funktion als SPD-Vorsitzenden in Berlin als Provinzler diffamierte.

Seit längerer Zeit fühlt sich das Hartz-IV-kreative Berlin von gut verdienenden Zuwanderern aus dem Südwesten Deutschlands, die dort alle pauschal als „Schwaben“ registriert werden, überfremdet. Neulich empörte sich der seit 40 Jahren im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg wohnende Bundstagsvizepräsident Wolfgang Thierse, dass die südwestdeutschen Neubürger beim Bäcker Wecken statt Schrippen verlangten. Der terminologische Kampf um das Brötchen wurde für ihn zum Prüfstein Berliner Identität und für den Integrationswillen der südwestdeutschen Zuwanderer. Das ist Hauptstadt und Weltstadt.

Gestern war ich im Walzmühle-Center meiner Heimatstadt Ludwigshafen. Dort preist ein Brezelbäcker, der mit dem Slogan „Ecker … lecker“ wirbt, auf zwei Aushängen „Berliner Schrippen“ an, wahlweise mit Fleischkäse oder Salami. Und das in der Pfalz, wo die Trinität von „Weck, Worscht un Woi“ (Weck, Wurst und Wein) gilt. Aufgeregt hat sich darüber noch niemand, ich habe auch noch keinen bösen Artikel in der Regionalzeitung „Die Rheinpfalz“ gelesen. Der Pfälzer ist eben toleranter und von weltmännischer Provinzialität. Seit Thierses Auftritt habe ich – ehrlich gesagt – noch weniger Lust auf die inszenierte Möchtegern-Weltstadt Berlin. Sollen sie dort mit ihren Schrippen und Buletten glücklich werden. Diese selbstverliebten Banausen werden nie ein Pfälzer Rumpsteak mit Zwiebeln und einen Pfälzer Wein zu schätzen wissen.

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Kurpfälzisches und Südwestdeutsches

4 Beiträge der Leser

  • Heriman

    // Jan 13, 2013 at 17:04

    Hallo,

    1529 haben 14 freie Reichsstädte und 6 Fürsten gegen den katholischen Zwang auf dem Reichstag in Speyer protestiert. Aus diesem Grunde gibt es in dieser Stadt ebenfalls eine Gedächtniskirche. Mir als Protestant ist diese wichiger als der mit Ablaßgeld erbaute Petersdom.

    Übrigens: Das Völkerkundliche Museum in Dahlem ist wirklich sehenswert. Man kann sich dort tagelang aufhalten.

    Viele Grüße,
    Heriman

  • Stephan Braun

    // Jan 28, 2013 at 22:12

    Hallo,

    die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin ist eine wunderschöne Kirche und für mich auch ein “heiliger” Ort in einer Stadt die sich sonst oft selbst genug ist.

    Ste

  • Anne Bünger

    // Mär 11, 2013 at 12:14

    Berlin hat schon was zu bieten und die Menschen, die einem dort begegnen, sind größtenteils freundlich, hilfsbereit und liebenswürdig.
    Klar, Versöhnlichkeit ist von dort seit den Zeiten des Alten Fritz nicht in die Welt geströmt. Als nach dem Mauerfall Herr De Maizière meinte, Deutschland müsse wieder protestantischer werden,fand ich das auch nicht als die rechte Art, die unter dem Einfluss der katholischen Soziallehre entstandene Verfassung und maßgeblich unter der Ägide rheinischer Katholiken friedenspolitisch wie wirtschaftlich recht gut gediehenen Bundesrepublik zu kritisieren.

    Ich bin froh, hier zu leben, in der Provinz, wo man die Freiheit eingefordert hat unter Einsatz des Lebens (z. B. auch 1832)und sie zu keiner Zeit mit Wohlleben verwechselt hat. Ob protestantisch, ob katholisch, die Pfälzer wissen mit einander zu leben und das wiegt mehr als alles “Pseudo-Multi-Kulti” in jeder überschuldeten und von den Provinzen brav finanzierten “Weltstadt” . Dagegen kann man Integration bei uns auf jeden Fall lernen; denn irgendwie haben wir bzw. unsere Vorfahren uns hier in dieser Provinz alle gut integriert.

    Gruß

    Anne

  • Heriman

    // Mär 17, 2013 at 10:13

    Sehr geehrte Frau Bünger,

    der Ausspruch von De Maizière “Deutschland werde wieder protestantischer” ist - so glaube ich - nicht als Kritik an den Verfassungsvätern des Grundgesetztes zu verstehen - deren Leistung wollte er bestimmt nicht schmälern -, sondern ist eher ein Ausdruck von Hoffnung dafür, dass sich der Geist der Bügerbewegung der ehemaligen DDR, der zu einer friedlichen Wiederereinigung geführt hat, positiv auf die deutsche Gesellschaft auswirken möge. Gerade dieser Freiheitsgedanke spielt eine wichtige Rolle in der Tradition der überwiegend protestantisch geprägten Kirche Ostdeutschlands.

    Ansonsten kann ich Ihnen nur von Herzen zustimmen.

    Viele Grüße,
    Heriman

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Kommentar: