HEIMKEHRÄNGSTE

Suffkopf und Hausdrache

von Markus A. Maesel · 14.06.2013 · 0 Kommentare

Frühabends. Der Stadtbus steuert den Ludwigshafener Hauptbahnhof an. Zwei Männer um die Siebzig steigen zu, nehmen neben mir und mir gegenüber Platz. Helle Karohemden, Outdoorhosen, festes Schuhwerk und Rucksäcke lassen erkennen, dass sie ihren Tag im Pfälzerwald verbracht haben. Ihr Zustand verrät, dass sie im ersten Naturfreundehaus beim Weinschorle hängen geblieben sind. Nun schwitzen sie den Alkohol heraus. Mein Gegenüber hat einige ansehnliche junge Frauen entdeckt und singt nun schmachtend „O Baby“ vor sich hin.

Unvermittelt fragt er mich: „Fahren Sie nach Hause?“ Ich bejahe. Sein Gesicht wird finster, dann sagt er verkniffen: „Wir nicht“. Kurzes grimmiges Schweigen. Dann schaut mich sein Kollege mit Riesling geröteten Augen von der Seite an und erklärt mir: „Der eine hat ein trautes Heim, der andere traut sich nicht mehr heim“. Stilles Seufzen. Sie sind nicht von dem Gedanken begeistert, ihren Ehefrauen vor die Augen zu treten. Wie ich kommen sie aus Gartenstadt-Hochfeld. Das bedeutet im Regelfall Arbeitermilieu und Kleinbürgertum – da ist der Ton rauer. „Suffkopp“ dürfte hier noch die freundlichste Begrüßung für die beiden Heimkehrenden sein. Das Nudelholz als pfälzische Form des Damoklesschwerts schwebt drohend über ihnen. Dementsprechend sind die beiden Wanderer geknickt. Vor ihren Hausdrachen flüchten sie in Erinnerungen an vergangene Zeiten, als ansprechendere und sinnlichere Frauen sie in ihrem Mannsein wahrnahmen. Doch es gelingt ihnen nicht so recht, an diesen tatsächlichen oder vermeintlichen Erlebnissen ihr Ego aufzubauen. Nachdem es nur in Norddeutschland und Ostdeutschland je ein Männerhaus („Gewaltschutzhaus“) gibt, kann ich ihnen nicht einmal ein Hilfsangebot unterbreiten.

Der Bus erreicht die Gartenstadt; brav und schicksalsergeben steigt mein Nebenmann mit hängendem Kopf an der Haltestelle Hochfeldstraße, die für ihn wohl eher Golgotha heißt, aus. Mein Gegenüber bleibt sitzen. „Ich gehe noch ins Volkshaus“, tut er seinem Kumpel trotzig kund. Das Silberhaar findet noch nicht die Kraft, sich dem gartenstädtischen Nudelholzgewitter zu stellen. Er braucht noch einige Bier und Weinschorle als Schutzpanzer. „Do werd die Wutz geschlacht …“, beginnt der Refrain eines bekannten Pfälzer Volksliedes. Kein anderes Lied könnte seine Situation besser beschreiben. „Armes Schwein“, denke ich beim Aussteigen.

[Erlebt am 13. Juni 2013].

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Kurpfälzisches und Südwestdeutsches, Mobiles und Zugiges

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