TRÜBSINNIGES

Krähe, Clown und Trauerweide

von Markus A. Maesel · 17.01.2014 · 1 Kommentar

Eine mächtige Trauerweide steht im Innenhof des Kinderkrankenhauses St. Annastift in Ludwigshafen-Mundenheim. Meine Tochter und ich haben sie in den letzten vier Jahren schon aus den Perspektiven verschiedener Zimmer bewundert, zu unterschiedlichen Jahreszeiten.

Immer wieder besuchte eine Krähe den Baum und hüpfte von Ast zu Ast. Einmal, an einem nasskalten Oktobertag, saß sie regungslos von morgens bis abends auf dem höchsten Punkt der Trauerweide. Obwohl sich über ihr der graue Himmel pausenlos ausschüttete, schien sie das Wetter nicht wahrzunehmen. Wir rätselten, was in dem kleinen Kopf des Vogels vorging, während das gleichmäßige Aufleuchten der Dioden am Infusiomaten, an dem meine Tochter angeschlossen war, die ständig in den Schlauch sickernden Tropfen, der langsam dahinkriechenden Zeit ihren Takt gaben. Hatte sich die Krähe von der Traurigkeit der Trauerweide anstecken lassen, die durch das kindliche Elend, das sie durch die Fenster erblickte, noch trübsinniger als andere Trauerweiden wirkte? Bei unserem nächsten Besuch sahen wir die Krähe nur noch gelegentlich, bei unserem letzten Aufenthalt vor einigen Tagen war sie verschwunden.

„Heute ist doch Donnerstag, da kommen doch die beiden Clowns auf die Station?“ Fragend schaut meine Frau die freundliche Krankenschwester auf dem Flur an. Wir erfahren, dass die beiden Spaßmacher heute die kleinen Patienten nicht erheitern werden. Der eine hat einen wichtigen Termin, dem anderen ist gerade das Haus abgebrannt und somit das Lachen vergangen. „Wer bringt den armen Clown wieder zum Lachen?“, frage ich betroffen meine Tochter. Aufgrund der Nähe zu Weihnachten meint das Mädchen, dass das die Aufgabe des Jesuskindes sei. Hoffentlich löst er nicht die Krähe auf der Trauerweide ab, denke ich beim Verlassen des Kinderkrankenhauses. Möge er die Kraft finden, die kranken Kinder weiterhin zum Lachen und Sonnenschein in ihre Herzen zu bringen. Lache Bajazzo!

Kategorie(n): Sonstiges und Undefinierbares

1 Beitrag der Leser

  • Jo-Ann Hüls

    // Feb 6, 2014 at 20:51

    Lieber Herr Dr. Maesel, die Januar 2014-Geschichte hat mich tief berührt. Ich glaube ganz fest an das Übersinnliche und an Zeichen, die wir gesandt bekommen. Ob dies an meinen Genen - ich bin Halbirin - liegt, mag ich nicht zu beurteilen. Auf alle Fälle hatte ich in meinem langen Leben schon sehr viele wundersame Begegnungen, die sich mit Logik nicht erklären lassen. Schön, wenn man die Natur so beobachtet wie Sie und Ihre kleine Tochter und so auf Dinge aufmerksam wird, die einem im ersten Moment Rätsel aufgeben.
    Herzlichst
    Jo-Ann Hüls

    PS: Weiter so, Ihre homepage ist hochinteressant, witzig, tiefgründig und man spürt den Feingeist.

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