TRIER

Goldfischs Rache

von Markus A. Maesel · 12.06.2015 · 1 Kommentar

Nach mehr als einem Vierteljahrhundert schlendere ich wieder das Zurlaubener Ufer in Trier entlang. Die barocke Häuserfront, hinter der früher die Fischer der Stadt lebten, beherbergt heute eine Abfolge von Wirtshäusern. Neun Kneipen auf 100 Metern sollen es sein. Kein Wunder bei diesem fantastischen Moselblick von den Biergärten aus. Hier hören die Menschen nicht die „Lumpenglocke“ der fernen Marktkirche St. Gangolf, die seit Ende des 15. Jahrhunderts immer um 22 Uhr die fröhlichen Zecher der Stadt zur Heimkehr ruft. Vergeblich suche ich nach einer Kneipe, deren origineller Namen mir damals im Gedächtnis haften geblieben ist. „Goldfischs Rache“ nannte sie sich martialisch, das Konterfei des Zierfisches prangte auf einem Schild mit hellblauem Hintergrund. Wirtshausschilder mit abgedroschenen Namen wie „Zum goldenen Hecht“ oder „Haifischbar“ halten sich über Jahrhunderte, Originalität stirbt schnell den stillen Tod. Die zahnlose Rache eines Goldfisches schien niemandem wirklich Angst zu machen.

Doch die Rache eines Goldfischs kann furchtbar sein, wie ich vor zehn Jahren im Norden der indonesischen Insel Sulawesi erfahren musste. Dort wird der Vertreter aus der Familie der Karpfenfische in Teichen zwischen den Reisfeldern gehalten. Mit Mais wird er gefüttert, bis er nach einigen Monaten groß und fett ist. Dann wird durch ein Bambusrohr das Wasser des Teiches abgelassen; die zappelnden, nach Luft japsenden Goldfische, die auf Indonesisch „ikan mas“ heißen, werden aus dem Schlamm geholt. Nach dem Einsatz einer hölzernen Nirwanahilfe werden die Fische in Bananenblättern eingewickelt und an Stöcken über einem Feuer aus Kokosnussschalen gegrillt. Ein vergnügtes Beisammensein für indonesische Familien oder Männerrunden auf den Reisfeldern. Als Gast eines solchen Männertreffens ließ ich mir den Goldfisch munden, dessen Fleisch puddingartig ist und einen hohen Fettgehalt besitzt. Doch scharfe Chilisoßen und der lokale Schnaps unterstützten die Nahrungsaufnahme und ließen den von Natur aus magenlosen Goldfisch in meinem Magen ein neues Habitat finden.

Faul, satt und zufrieden saß ich geschützt vor der Mittagssonne unter einem Baum. Die Ruhe vor dem Sturm, wie sich bald herausstellte. Denn nachts rumpelte es plötzlich in meinem Bauch, schmerzhafte Blähungen machten das Schlafzimmer zum Palast der Winde, die Zeit bis zum Morgen verbrachte ich mit Durchfall auf der Toilette. Doch die Rache des Goldfischs wich auch am neuen Tag nicht von mir, sie schwang sich gar zu neuen Höhen auf. Und ich hatte das Problem, dass ich an diesem Tag nach Deutschland zurückkehren musste – mehr als 20 Stunden Reisezeit. Mein naturheilkundlich bewanderter indonesischer Schwiegervater kochte aus Blättern einen Sud und füllte ihn in eine Plastikflasche. Das bittere Gesöff hielt mich reisefähig und den Darm notdürftig zusammen, an ihm klammerte ich mich fest. Während der ganzen Heimreise habe ich weder etwas getrunken noch gegessen.

Doch die bereits erwähnte Trierer Marktkirche St. Gangolf mahnt, dass Rache und Blähungen auch ein böses Ende nehmen können. Den Mörder des hl. Gangolf ließ Gott laut Überlieferung nämlich qualvoll an Blähungen, die ihn innerlich zerrissen haben sollen, zugrunde gehen. In der Marktkirche befindet sich übrigens auch ein Opferstock für die Indonesien-Mission. Hoffentlich werden mit dem Geld auch Krankenhäuser unterstützt, die in dem Inselstaat die Opfer rachsüchtiger Goldfische behandeln.

Kategorie(n): Heiliges und Unheiliges, Indonesisches und Manadonesisches, Makaberes und Skurriles, Tierisches und Pflanzliches

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