SCHWÄBISCHE WILLKOMMENSKULTUR

Keine Plüschbären für Pfälzer

von Markus A. Maesel · 10.10.2015 · 1 Kommentar

Jeden Morgen treffen kurz nach sieben und kurz vor acht Uhr pfälzische Wirtschaftsflüchtlinge auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof ein. Schlaftrunken, fröstelnd und ausgezehrt wanken sie zu den biblischen Fleischtöpfen Ägyptens, die heute in der Schwabenmetropole stehen. Denn die Pfälzer Kartoffel allein macht nicht satt.

Nirgends finden sich zu dieser frühen Stunde auf dem Hauptbahnhof schwäbische Mitmenschen mit Schildern, auf denen „Welcome“ oder „Willkommen“ geschrieben steht. Nirgends finden sich freiwillige Helfer, die mit pfälzischen Wörterbüchern versehen, versuchen einen ersten Kontakt herzustellen. Kein ermunterndes Lächeln, keine wärmenden Decken, kein heißer Tee, keine flauschige Plüschbären für einsame Pfälzer Herzen. Kein bergendes Containerdorf mit vertrauensbildenden Namen wie Neu-Speyer oder Klein-Ludwigshafen steht für die Ankömmlinge bereit. Stattdessen scheinen überall in der bahnhöflichen Zugluft unsichtbare Transparente zu flattern, die verkünden: „O Pfälzer du, not welcome ju“.

Was haben diese edlen Pfälzer hinter sich gebracht, um zuhause die hungrigen Mäuler ihrer Familien zu stopfen. Welche Hindernisse haben sie überwunden, die ihnen während dieses Jahres in den Weg gestellt wurden, um sie vom wohlhabenden Stuttgart fernzuhalten. Zuerst versuchte man diese aufopferungsbereiten Menschen mit monatelangen Lokführerstreiks abzuschrecken. Als das nichts half, riss man die Straßenbahnschienen auf der Rheinbrücke zwischen dem pfälzischen Ludwigshafen und dem badischen Mannheim heraus. Angeblich wegen Erneuerung des Gleisbetts. Da lachen doch die Elwedritsche im Drei-Löwen-Takt. Wie gefahrvoll war daraufhin die frühmorgendliche Überquerung des Rheins durch pfälzische Verzweifelte in kleinen Booten. Kaltes, dunkles Wasser, wirbelnde Strudel und unberechenbare Strömung. Die ständige Angst vor der baden-württembergischen Süßwassermarine, die mit ihren berüchtigten Wieslocher-Schwarzriesling-Torpedos Jagd auf die linksrheinischen Boatpeople machte. Doch die Aussicht auf Stuttgarter Mammon ließ sie durchhalten.

Als das alles nichts half, sperrten die schwäbischen Abwehrstrategen die Schnellbahntrasse zwischen Mannheim und Stuttgart sowie eine U-Bahnlinie in Stuttgart selbst. Seitdem versuchen die pfälzischen Wirtschaftsflüchtlinge über die zeitraubende Bimmelbahnstrecke zwischen Bruchsal und Mühlacker – die Stadt, die man sofort an ihrem hässlichen Wasserturm erkennt – das gelobte Stuttgart zu erreichen. Dabei immer die bange Frage im Hinterkopf: Werden evangelikale Pietkongs die langsam fahrenden Züge entern? Und den verschüchterten Pfälzern ihre zerlesenen Bibeln an den Hals setzen und laut schreien: “Kehret um und tuet Buße“? Haben die Württemberger vergessen, dass Pfälzer aus Maikammer einst den Klappmeter erfanden und damit erst das schwäbische Tüftlertum und den sagenhaften württembergischen Reichtum möglich machten? Undank ist der Welten Lohn.

Habt Mitleid, selbstverständlich werden wir uns der Forderung unseres bundesdeutschen Innenministers Thomas de Maizière unterwerfen und an einer „Ankommenskultur“ arbeiten. Auch wenn Pfälzer aus religiösen Gründen keinen Trollinger trinken und keine Trinkgefäße unter einem halben Liter Volumen berühren dürfen. Habt keine Angst, ihr Schwaben, die Leberwurstringe in unseren Taschen sind keine Sprengstoffgürtel und die Saumägen fallen nicht unter das Chemiewaffenverbot. Wir besorgen uns auch ganz schnell den Sprachführer Schwäbisch aus der Kauderwelsch-Reihe und werden auch ohne Murren euren eiskalten Kartoffelsalat essen, notfalls auch in ungewohnter Kombination mit Maultaschen. Wir werden geduldig mit den anderen Flüchtlingen aus aller Herren Ländern in der Essensschlange stehen. Auch brausen wir nicht auf, wenn weibliche Beamte bei der Registrierung unsere persönlichen Daten aufnehmen wollen. Denn der Pfälzer, als frühester Empfänger der Werte der Französischen Revolution in Deutschland, hält selbstverständlich Frauen für gleichberechtigte Menschen. Zumindest wenn er nüchtern ist. Zeigt, dass schwäbische Seelen nicht nur Backwaren sind.

Doch es gibt auch Solidarität und Hoffnung. Ein guter – aber nicht gutmenschlicher – Kollege, der schon während des Lokführerstreiks von pfälzischem Flüchtlingselend und besonders dem meinigen berührt war, empfahl mir, mich über eine Schlepperbande per Schlauchboot in den Stuttgarter Neckarhafen schleusen zu lassen. Dort werde er mich mit seinem Motorrad-Club abholen und sicher zum Arbeitsplatz geleiten. Und damit gewährleisten, dass sich meine in pfälzischen Landen darbende Familie nicht nur von Chio-Chips ernähren muss. Gott möge ihn einst zum Lohne mit seiner Harley direkt durch die Wolken in den Himmel einfahren lassen. Amen.

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Kurpfälzisches und Südwestdeutsches, Mobiles und Zugiges

1 Beitrag der Leser

  • Herwig

    // Dez 16, 2015 at 14:49

    Hast wieder ganz köstlich geschrieben, lieber Markus. Bist ein richtiger Überlebenskünstler. Liebe Grüße nach Deutschland aus Indonesien

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