SUCHLAUF

Der eigene Standpunkt

von Markus A. Maesel · 17.06.2016 · 0 Kommentare

Die Menora, der siebenarmige jüdische Leuchter, symbolisiere die sieben Himmelsrichtungen: Norden, Süden, Osten, Westen, oben, unten und den Standpunkt des Menschen selbst. So hat es mir vor Jahren meine alte Religionslehrerin erklärt. In der U-Bahn begreift ein schwäbischer Arbeitnehmer Leben und berufliche Karriere als Straße. Man könne ihn rechts überholen, links überholen, vor ihm fahren, hinter ihm fahren. Aber an der Stelle, wo er sich gerade befinde, habe niemand anderes etwas verloren. Die Mystikerin Margareta Porete fand ihren Standpunkt und Halt als „im Nichts Befestigte“. Sich dem „fernnahen“ Gott vollkommen ausliefernd, bis auf den Scheiterhaufen. Bei machtbesessenen Opportunisten, wie dem US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, ist der Standpunkt die Standpunktlosigkeit. Angsthasen hingegen verstecken ihren Standpunkt unter Standpunktlosigkeiten. Ein Selbstverliebter hat seinen Standpunkt wie ein Kreisel in der eigenen Drehung. Durch den Urknall verlor das Nichts seinen Standpunkt und wurde zur Bewegung. Mit der Bewegung werde ich als Fernpendler standortlos und merke schmerzlich, dass Standpunkte mit Standort besser gedeihen. Ein Baum bringt nur mit festem Standort Früchte. Das stellten schon die spätantiken Wüstenmönche in Ägypten fest und machten ihren Standpunkt zum Standort. Zellen des weltflüchtigen In-sich-Ruhens und gottsuchenden Sich-Vergessens in der Wüste. „Das Vertrackte am Klarmachen des eigenen Standpunktes ist, dass man dadurch zu einem nicht zu verfehlenden Ziel wird“, schrieb Baruch de Spinoza aus eigener leidvoller Erfahrung. Der niederländisch-jüdische Philosoph sicherte die geistige Unabhängigkeit seines Standpunktes, indem er als Optiker seinen Lebensunterhalt verdiente. Kein echter Standpunkt ohne Nachteile und Opfer. Schlusspunkt zum Standpunkt.

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches

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