TEXTILES GEHEIMNIS

Graf Cianos Socken

von Markus A. Maesel · 01.09.2020 · 2 Kommentare

Ein adeliger Schwerenöter und faschistischer Karrieremacher, so lässt sich Gian Galeazzo Ciano, Graf von Cortellazo und Buccari, am besten in Kurzform beschreiben. Sein Vater, Kriegsheld und zuletzt Konteradmiral der Reserve, war Kampfgefährte des italienischen Faschistenführers und Diktators Benito Mussolini. Der Jurist und Diplomat heiratete 1930 Edda Mussolini, die Lieblingstochter des „Duce“. Danach ging Galeazzo Cianos Karriere im Dienste Italiens steil nach oben: diplomatischer Sondergesandter, Propagandaminister und Außenminister folgten als Positionen.

Der gutaussehende Bonvivant blieb auch in der Ehe seinem Ruf als Womanizer treu, international wie auch im Kreise römischer Aristokratinnen. Gerade aber in seinem Wirken als Playboy hinterließ Ciano der Nachwelt ein ungelüftetes Geheimnis, ein Rätsel, dessen Lösung noch immer in den Tiefen der Weltgeschichte verborgen liegt: das Verhältnis zu seinen schwarzen Socken.

Als italienischer Außenminister gönnte sich der Conte ausgiebige Besuche im „Salon Kitty“ in Berlin-Charlottenburg. Der Salon war ein mit Mikrofonen verwanztes Nobelbordell, das der SS zu Spionagezwecken diente. Dort wunderte sich seine Gespielin Liesel Ackermann, dass der „zärtliche Kavalier“ beim Liebesspiel nie seine schwarzen Socken auszog. Sie mutmaßte, dass in ihnen vielleicht „Telefonnummern oder wichtige Papiere“ verborgen seien.

Doch jeder Mann weiß, wie unangenehm Strümpfe mit Inhalt zu tragen sind. So etwas hätte sich der snobistische Lebemann Ciano nicht angetan. Sicherlich trifft auf den Erotomanen auch nicht der spöttische Aphorismus des Werbetexters Manfred Poisel zu: „Männer, die zum Liebesspiel in Socken antreten, haben meist kalte Füße“. Eher hätte Ciano damit in Coolness gezeigt, dass ihn nichts aus den Socken haute. Er war Herr der Lage.

Doch was könnte Ciano zu diesem Auftritt bewogen haben? Es gibt im Internet keine Hinweise, dass die gräflichen Füße missbildet waren oder Narben trugen. Auch Schweiß- oder Käsefüße sind im Netz nicht überliefert. Schwarz ist die Farbe des italienischen Faschismus. Vielleicht wollte sich Ciano als glühender Anhänger dieser Ideologie mit schwarzen Socken von „Roten Socken“, also von sozialistischem und kommunistischem Gesocks, abgrenzen. Ein politisches Statement in jeder Lebenslage?

Vielleicht stellten schwarze Socken als Restbekleidung im Edelpuff für Ciano die letzte Grenze der Zivilisation und des Schamgefühls dar, die er nicht überschreiten wollte. So zeigt auch die Hüftschnur als einziges Bekleidungsstück bei Amazonasvölkern, dass Menschen ein textiles Minimum zur Wahrung ihres Schamgefühls und gegen die Selbstauslieferung in hilfloser Nacktheit benötigen. Möglicherweise galten schwarze Socken beim Koitus auch einfach nur als Ausdruck aristokratischer Würde oder waren eine generelle Marotte beim Paarungsritual italienischer Männer. Hier ist empirische Forschung gefragt.

Cianos Liebesleben in Socken könnte aber auch auf seinem reichen erotischen Erfahrungsschatz beruhen. So kam die Universität Groningen vor wenigen Jahren in einer Studie zum Schluss und auch Erkenntnisse der Sex-Expertin Annabelle Knight legen nahe, dass Socken beim Sex die Orgasmusfähigkeit fördern. Bei Männern sorgen Socken für gleichmäßige Körperwärme und Blutzirkulation. Das wirke sich positiv auf Penislänge, Erektion und Lustempfinden aus. Ohne Socken drohe im Extrem der „Winterpenis“. Das Glied verkürze sich dann um rund 50 Prozent und verliere 20 bis 30 Prozent an Umfang, die Erektion könne zur Peinlichkeit geraten. Man(n) sehne sich dann nur noch nach Wärme und könne sich nicht mehr auf den Sex konzentrieren. In diese Situation konnte der gräfliche Gigolo nicht kommen und blieb daher immer der vollendete Liebhaber! Ciano sollte daher unbedingt am US-amerikanischen „National Sock Day“, dem Tag der Socke (4. Dezember), gefeiert werden. Für den britischen „Lost Socks Memorial Day“, den Tag der verlorenen Socke (9. Mai), wäre er der falsche Kandidat.

Völlig von den Socken dürfte Graf Ciano allerdings gewesen sein, als sein Schwiegervater Benito Mussolini ihn Anfang 1944 nach einem Schauprozess in Verona wegen Hochverrats erschießen ließ. Apropos Mussolini. Von der Nummer in Socken hielt der „Duce“ überhaupt nichts. Er bevorzugte es, beim täglichen Geschlechtsakt seine Stiefel anzulassen, obwohl er sie eigentlich wegen ihrer Enge verfluchte. Als Führer und Beherrscher des geographischen italienischen Stiefels war er aber wohl dem weiblichen Teil der Menschheit diesen martialisch-maskulinen Auftritt schuldig.

Ironie des Schicksals: im Handel sind heutzutage schwarze Socken mit dem Konterfei Mussolinis erhältlich, mit dem Abbild Cianos aber nicht. Undank ist der Welten Lohn.

[Quellen (in Reihenfolge der Bezugnahme): Art. „Galeazzo Chiano“. In: Wikipedia - Art. „Edda Ciano“. In: Wikipedia - Henning Schlüter: Rezension Sachbuch. Von Hitler aus dem Bett geholt. In: FAZ.net v. 8.03.1999 - Hanna Huhtasaari: Nazi-Bordell. Verführen für den “Führer”. In: Spiegel.de v. 27.08.2008 - Manfred Poisel in: Aphorismen.de - Art. „Rote Socke“. In: Wikipedia - Andreas Müller (Hg.): Auf den Spuren alter Kulturen II. Nicht nur eine Chronik des Freundeskreises Alte Kulturen e. V. Freiberg. [Freiberg 1993], S. 134 (online). - GQ: Darum sollten Sie beim Sex die Socken anbehalten. In: Focus.de v. 19.11.2018 - Jonas Winkler: 13 Kuriositäten über Socken - das musst du nicht wissen. In: Sockstock.net v. 4.06.2018 - Hendrik Werner: Tagebücher der Geliebten. Diktator Mussolini ließ beim Sex die Stiefel an. In: Welt.de v. 19.11.2009 - Alexander Smoltczyk: Mussolini und seine Geliebte. Im Bett mit „Ben“. In: Spiegel.de v. 25.11.2009 - Mussolini-Socken im Handel: Redbubble.com].

Schwarze Socken beim Trocknen in der Kur, ohne Geheimnis. - Foto: Maesel

Kategorie(n): Ausgekramtes und Entdecktes, Geschichtliches und Völkerkundliches, Makaberes und Skurriles

2 Beiträge der Leser

  • Jürgen Strugalla

    // Sep 1, 2020 at 11:19

    Der Artikel ist richtig klasse. Casanova hätte seine Freude daran gehabt und auch Fouche wäre entzückt - wahrscheinlich aber eher vom Schauprozeß und dem Geschoßfeuer.

  • cantarelli

    // Sep 1, 2020 at 15:09

    ganz toller Bericht, es erinnert mich an Adolf Holl

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