KURZGESCHICHTE

Gartenstimmen

von Markus A. Maesel · 13.03.2023 · 1 Kommentar

Arminius hörte Stimmen, überall wo er sich in seinem kleinen, eher wilden, mit Blumen überbordenden Hausgarten bewegte. Sie sprachen nur für ihn; die Ohren anderer Menschen konnten sie nicht erreichen. Und Arminius war für diese besondere Gabe und Gnade dankbar.

Wenn der Junggeselle auf seiner Gartenbank saß, summten und brummten die beiden schwarzblauen Holzbienen auf den rosafarbenen Wicken. Immer wieder teilten sie Arminius mit, dass diese Schmetterlingsblütler schon besser geschmeckt hätten. Im nächsten Jahr solle er gefälligst mit Dünger nachhelfen. Der mattschwarze Kunststoffkomposter klagte ihm dauerhaft sein Leid, dass die Zusammensetzung des Biomülls seiner Verdauung nicht bekomme und besonders die Kohlreste sein Inneres blähten. Vom Geruch ganz zu schweigen. Doch Arminius hörte dem Hypochonder nur noch mit halbem Ohr zu. Er war die langweiligste und nervigste Stimme in seinem Garten.

Der tönerne Frosch, der im Lotussitz meditierte und das Samsara zu überwinden suchte, war hingegen für Arminius ein wichtiger geistlicher Ansprechpartner. Seine Hände lagen entspannt auf den Froschschenkeln, die offenen Handflächen zeigten empfangsbereit nach oben, als wollten sich in ihnen die Weisheit des Himmels und des Universums sammeln.

Man müsse zur vollkommenen Froschlosigkeit gelangen, um ins Nirwana einzugehen, eröffnete der amphibische Guru dem Gartenfreund seine neueste Erkenntnis. Ein Frosch inmitten einer flachen Schale sei immer nur darauf ausgerichtet, zwanghaft aus dem Gefäß zu springen und verliere sich in dieser Tätigkeit. Nur wenn er sich von seiner Froschnatur löse, könne er gelassen und bedürfnislos werden, seine irdische Zwanghaftigkeit und das hektische Lebensrad überwinden. Da müsste man die Franzosen mit ihrer kulinarischen Gier nach Froschschenkeln als geistliche Helfer zur Froschlosigkeit ansehen, dachte Arminius schelmisch und schämte sich auch sofort wieder für diesen Gedanken. Schließlich hatte die Froschlosigkeit einen ganz tiefen Sinn.

Das verwitterte Holzkreuz an der Hauswand bezweifelte hingegen, dass Froschlosigkeit den Menschen von seinem Kreuzweg erlösen könne. Jeder Mensch müsse sein Kreuz tragen, manchmal ein kleines, manchmal ein großes. Kreuz und Leid stählten den Rücken und erhöhten die Widerstandsfähigkeit im Leben und nicht froschiges Herumgehocke. Und nach der Kreuzigung winke zur Belohnung das Paradies. Frosch und Kreuz hielten Arminius im religiösen Zwiespalt. Er wollte auch keine Antwort finden, sonst hätte eine der beiden Stimmen beleidigt verstummen können. Und das wollte er auf keinen Fall.

Ein besonderer Charakter war der Topinambur in der einen Gartenecke. Er weigerte sich, seine kleinen gelben, sonnenartigen Blüten zu bekommen. Warum solle er eine sinnentleerte und abgestumpfte Welt mit Schönheit belohnen, fragte das Gewächs Arminius. Der zuckte nur ratlos und verlegen mit der Schulter. Was hätte er als alter weißer Mann, und damit als Weltsündenbock, auch sagen sollen. Da diskutierte er lieber mit den Gänseblümchen auf seiner kleinen Wiese; die waren nicht so stur.

Einmal trat unverhofft die warme Stimme einer Frau in sein Leben. Ursinia hatte einfach die kleine Gartentür geöffnet und stand plötzlich vor ihm. Sie verband ebenfalls eine tiefe Freundschaft mit der bunten Pflanzenwelt. Ihr Vater, ein Botaniker, hatte ihr diesen seltenen Namen gegeben. Er war ein Leben lang mit Ursinien, einer Gattung afrikanischer Korbblütler, beschäftigt. Ursinia war sehr belesen und redete bei ihren Besuchen fachkundig über die Vielfalt der Botanik. Arminius genoss das kurzzeitig, bis er merkte, dass Ursinias Stimme nicht in die Wirklichkeit seiner gewohnten Stimmenwelt passte, mit dieser gar in Wettstreit trat. Bald wirkte auf ihn ihr Reden unwirklich im Vergleich zu seinen anderen, vielfältigen Gesprächspartnern. Zudem wurden die Stimmen seiner alten Freunde immer leiser. Das nervte ihn und er bat Ursinia recht ungalant seinen Hausgarten für immer zu verlassen. Als sie gekränkt das Gartentürchen hinter sich schloss, fühlte er sich wieder ausgeglichen und zufrieden.

Doch sein Seelenfrieden währte nicht lange. Ein entfernter Verwandter und Arzt wollte ihm seine vertrauten Stimmen mit Medikamenten nehmen. Das sei nicht normal, klärte er ihn auf. Einsam im Garten sitzen? Arminius lehnte ab, wenn auch das Ansinnen ihn innerlich aufwühlte. Das alte Holzkreuz an der Mauer beruhigte ihn. Hätte Moses mit Tabletten noch die Stimme des brennenden Dornbuschs in der Wüste gehört? Mit Arzneimitteln hätte es keinen Auszug ins gelobte Land gegeben. Keine Größe ohne nichtmenschliche Stimmen. Beruhigt kehrte Arminius auf seine Gartenbank zurück, deren Rot warm und einladend in der Nachmittagssonne glänzte. Mit ihr hatte er sich auch schon länger nicht mehr unterhalten.

Kategorie(n): Sonstiges und Undefinierbares

1 Beitrag der Leser

  • Helga

    // Mär 20, 2023 at 13:49

    Endlich wieder…. ein schöner Spaziergang durch deinen Garten

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