UNVERBLÜMTES

Orchideen als Karrierekiller

von Markus A. Maesel · 06.08.2008 · 3 Kommentare

Abendliche Ruhe ist im Haus eingekehrt. Endlich habe ich etwas Zeit für die Orchideen, die mit ihren rosa, weißen, weißroten und gelben Blüten meiner Fensterbank zum Garten hin Glanz verleihen. Ich entferne die welken Blätter, schneide verdorrte Triebe ab. Vorsichtig gieße ich die Schmetterlingsblütler. Da sie in ihrer tropischen Heimat wie Misteln an den Bäumen hängen, würden sie stehendes Wasser im Übertopf rasch mit ihrem Ableben quittieren.

Ich erfreue mich an der exotischen Farbenpracht, eine Orchidee aus Borneo verbreitet gar leichten Blütenduft. Die Abendstille geht in ein Gefühl von Zeitlosigkeit über. Meine geliebten Karrierekiller geben mir Entspannung und helfen mir, meine Gedanken zu ordnen.

Warum ich Orchideen als Karrierekiller bezeichne? Das liegt fast 15 Jahre zurück. Damals hatte ich mich nach dem Studium mit den gängigen Bewerbungs- und Karriereführern bewaffnet. Dort hieß es unisono, nur keine introvertierten Charakterzüge gegenüber dem potenziellen Arbeitgeber offen zu legen. Stille Freizeitbeschäftigungen seien Indikator für Introversion und somit Feindbild der Personalabteilungen.

Der allzeit jungdynamische Erfolgsmensch ziehe Geselligkeit dem Bücherlesen vor. Wenn er doch einmal zum gedruckten Wort greife, dann nur zur Fachliteratur. Und auf der langen Negativliste introvertierten Outings stand auch die Beschäftigung mit Zierpflanzen. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Waren nicht über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende Gärten Ausgleich für Entscheidungsträger? Auch die Bonsaikultur wurde nicht aus dem Proletariat geboren. Hatten Lebensweisheiten wie „Stets gespannt erlahmt der Bogen“ und „In der Ruhe liegt die Kraft“ ihre Bedeutung verloren? Bewies nicht schon der hl. Benedikt von Nursia vor 1500 Jahren mit seinem das Abendland umwälzenden Grundsatz „ora et labora“ – „bete und arbeite“ –, dass erfolgreiches Schaffen als Pendant den stillen Ausgleich braucht? Was für ein Führungspersonal wurde mit dieser hyperextrovertierten Personalstrategie hochgezogen? Ist das Ergebnis die jetzige, als besinnungslos raffgierig verschriene Managerkaste?

Nach diesen Kriterien wäre Konrad Adenauer nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Der große Politiker und Staatsmann fand nämlich Entspannung bei der Gartenarbeit. Er liebte Rosen und meldete zwei Patente für Gießkannen an. Menschen wie Adenauer ermutigen mich, trotz allem an meiner für das berufliche Weiterkommen schädlichen Orchideenliebe festzuhalten. Aber vielleicht bedürfen auch die geistigen Bonsais, die solche zwanghaften Personalkonzepte entwickeln, dringend der gärtnerischen Pflege?

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Tierisches und Pflanzliches

3 Beiträge der Leser

  • Reddisch

    // Aug 6, 2008 at 09:00

    Lieber Markus, wie immer feinsinnig und mit vortrefflichen “Spitzen”. Ich bin derselben Meinung wie du und werde auch in Zukunft der Gartenarbeit frönen. Es sei aber auch dazugesagt, dass ich kein Manager bin, war und werde. Mein Lebensschicksal hat mich Gott sei Dank davor bewahrt….

  • Helga Moll

    // Aug 6, 2008 at 13:56

    Lieber Markus,
    leider lesen die “falschen” Leute diesen Artikel, schade …
    Gruß Helga

  • Peter Beerhalter

    // Sep 3, 2008 at 12:50

    Lieber Dr. Maesel,

    gehen Sie mal nicht zu hart mit unserer Managerelite ins Gericht.

    Bonsaizucht, japanische Gartenkunst oder auch Orchideenhege: sicher erstrebenswert, weil ein erbaulicher Ausgleich für gestresste Leistungsträger der Wirtschaft – aber viel zu zeitaufwendig.

    Den für erfolgreiches Schaffen benötigten Ausgleich findet ein nicht unerheblicher Teil der Alpha-Männchen aus den Vorstandsetagen beim regelmäßigen Besuch ihrer Stamm-Domina („Hallo Brunhilde!“ „Hallo Hans-Dieter! Tässchen Kaffee bevor wir anfangen…?“).

    Hier werden professionell, hygienisch und genauso CO2-neutral die Hierarchien zurechtgerückt, unter deren Ungerechtigkeit die Herren täglich stumm, aber umso schwerer leiden. Hier kommen sie endlich zur Ruhe, hier spüren sie sich wieder selbst. Ja, hier ist auch wieder Platz für echte Gefühle!

    Hier sind sie Mensch, hier dürfen sie sein!

    Auch ohne Grünzeug …

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