U-BAHN-STATION

Dhoby Ghaut

von Markus A. Maesel · 09.02.2011 · 2 Kommentare

Kreuz und quer fahre ich mit der U-Bahn durch Singapur. Der hochmoderne Mass Rapid Transit (MRT) ist unverzichtbar, wenn man den Stadtstaat näher kennen lernen möchte. Der Durchschnittstourist bleibt nur wenige Tage in Singapur. Ich habe vier Wochen Zeit, um die südostasiatische Metropole zu erkunden, und ich möchte so viel wie möglich sehen. Es ist Sommer 1996.

Fast täglich passiere ich eine U-Bahn-Station, die eine Frauenstimme vornehm mit „Dhoby Ghaut“ ankündigt. Dieser Name ist ein Wohlklang in meinen Ohren und ich brenne jedes Mal darauf, dass aus dem Lautsprecher erneut die Bandstimme mit „Dhoby Ghaut“ ertönt. Ich nehme an, dass Dhoby Ghaut in der früheren britischen Kronkolonie Singapur eine Schriftstellerin war, eine lokale Größe, die vor dem Hintergrund des Empire ihre Erzählungen verfasste. Nachforschungen betreibe ich nicht. Als ich nach Deutschland zurückkehre, wird die vornehme Lautsprecherstimme immer leiser in meinen Ohren, der Alltag lässt keinen Raum mehr für Dhoby Ghaut.

Nach mehr als vierzehn Jahren kommt mir auf einmal der Name wieder in den Sinn. Als ich am Computer sitze und durch das Fenster ins trostlose Wintergrau meines Gartens starre. Ich fange an zu googlen – wie schreibt man nochmals diese betörende Buchstabenkombination? Doby Gaut? Doby Ghaut? Dhoby Ghaut! In der englischsprachigen Wikipedia werde ich fündig und erlebe gleich eine herbe Enttäuschung: Dhoby Ghaut ist nicht die Kolonialschriftstellerin meiner Tagträume.

Dhoby Ghaut war der Arbeitsort der indischen Wäscher in Singapur, am südlichen Ende der Orchard Road. Auf Hindi bedeutet Dhobi Wäscher und Ghat bezeichnet ein großes, offenes Gelände. Hätte der Platz noch heute seine Funktion, würden dort lauter Waschmaschinen stehen. Und der Lautsprecher im MRT würde salbungsvoll „Miele Place“ als nächste Station ankündigen.

Für mich hat der Wohlklang Dhoby Ghaut Potenzial für mehr. Ich könnte mir eine rote Rose dieses Namens vorstellen, ein rotbraunes Rennpferd, ein edles Ressort im Hochland von Malaysia, eine nicht gecastete Musikgruppe oder einen südafrikanischen Rotwein. Vielleicht lege ich mir aber auch Dhoby Ghaut als Künstlernamen zu. Damit Dhoby Ghaut doch noch als Schriftstellerin zu ihrem Recht kommt.

[Vgl. in der englischsprachigen Wikipedia die Artikel „Dhoby Ghaut“ und „Dhoby Ghaut MRT Station“].

Kategorie(n): Ausgekramtes und Entdecktes, Geschichtliches und Völkerkundliches, Mobiles und Zugiges

2 Beiträge der Leser

  • Heriman

    // Feb 12, 2011 at 11:48

    Hallo,

    es erstaunt mich immer wieder, welch sprechende namen K. Rowling in ihren Harry-Potter-Büchern verwendet.

    Ist denn nicht “Dobby” der Name des Hauselfen, der sich um Wäsche und Küche kümmert?

    Viele Grüße,
    Heriman

  • Helga

    // Feb 26, 2011 at 20:53

    Hallo,

    vielleicht sollten manchmal Träume doch Träume bleiben, googeln ist manchmal desillusionierend.

    Liebe Grüße

    Helga

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Kommentar: