VENUSFLIEGENFALLE

Karnivore auf Abwegen

von Markus A. Maesel · 01.08.2013 · 2 Kommentare

Schnaken werden in der Rheinebene schnell einmal zur Plage. Mein Sohn mit seinem Nutella-gesättigtem Blut gehört zu ihren bevorzugten Opfern. Wenn er morgens zum Frühstück kommt, ist er gezeichnet von den nächtlichen Attacken der Blutsauger. Er mag nicht glauben, dass Weibchen so brutal sein können. Da der Filius aber alles andere als schicksalsergeben ist, fordert er mit Nachdruck: „Ich möchte eine fleischfressende Pflanze neben meinem Bett stehen haben. Dann habe ich für immer vor diesen Stechmücken meine Ruhe“. Zweifellos ein außergewöhnlicher Wunsch für einen kompromisslosen Vegetarier.

Etwas später lernen wir im Urlaub die Gärtnerei der Benediktinerabtei Maria Laach kennen. Die Klostergärtnerei wartet mit einer großen Auswahl an Blumen, Zimmerpflanzen, Kräutern und Bäumchen auf – alle liebevoll gepflegt. Und es gibt sogar eine kleine Abteilung mit fleischfressenden Pflanzen (Karnivoren), in der selbst die eher seltenen Kannenpflanzen aus Borneo vertreten sind. Unser Sohn entscheidet sich für eine Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula), die er aus Internetvideos bereits kennt. Das Fangblatt der aus North und South Carolina stammenden Karnivore kann innerhalb von 100 Millisekunden zuschnappen – ein unschönes Ende für Fliegen, Ameisen und Spinnen.

Wir sitzen zuhause beim Mittagstisch. Es ist brütend heiß. Ein Schwarm grünmetallic-glänzender Schmeißfliegen vergällt uns die Mahlzeit, indem er immer wieder Landeversuche auf den Speisen unternimmt. Irgendwann stellen wir zur Fliegenabwehr (FLAK?) die Venusfliegenfalle unseres Sohnes auf den Esszimmertisch. Schadenfroh warten wir auf das Ende der Plagegeister. Tatsächlich kommt eine Mücke angesummt, nimmt auf dem Fangblatt Platz und saugt begierig dessen Nektar auf. Dann fliegt sie in aller Seelenruhe weiter, ohne dass die Venusfliegenfalle zugeschnappt wäre.

Schweigendes Entsetzen unsererseits. „Unterm Krummstab ist gut leben“, hieß es früher von den Untertanen geistlicher Territorien. Wurde die Venusfliegenfalle in der Klostergärtnerei mit Whiskas oder Sheba gefüttert, so dass sie sich nun gegen Schmeißfliegen auf dem Speiseplan sträubt? Stört die verwöhnte Karnivore der fäkalische Beigeschmack deren Fleisches? Oder verweigert sie aus religiösen Gründen den Fleischgenuss, weil heute Freitag und damit kirchlicher Fasttag ist? Vielleicht hat sie auch bei den Benediktinern Gefallen an strenger Askese gefunden und hat sich deshalb völlig dem Vegetarismus verschrieben? Oder engagiert sie sich heimlich bei einer pazifistischen Gruppierung? Womöglich hat sie sich auch der Auffassung des berühmten Naturkundlers und Pflanzensystematikers Carl von Linné angeschlossen, dass es überhaupt keine fleischfressenden Pflanzen geben könne, da in der biblischen Schöpfungsgeschichte nur davon die Rede sei, dass Pflanzen den Menschen und Tieren als Speise dienen sollen und nicht umgekehrt (Genesis 1,29-30). Diese Feststellung machte der alte Schwede, als er Ende der 1760er-Jahre erstmals mit einer Venusfliegenfalle konfrontiert wurde.

Doch Schluss mit der Ursachenforschung! Schließlich bin ich nicht der Psychoanalytiker dieser eigenartigen Karnivore. Hier hilft nur noch eine radikale Wende. Ich werde eine Venusfliegenfalle aus dem kommunistischen Nordkorea bestellen, ausgehungert, willig und ideologisch gefestigt. Liebevoll werde ich das Problemlöserchen Kim nennen.

[Vgl. Art. „Venusfliegenfalle“. In: Wikipedia].

Kategorie(n): Heiliges und Unheiliges, Makaberes und Skurriles, Tierisches und Pflanzliches

2 Beiträge der Leser

  • Markus A. Maesel

    // Sep 10, 2013 at 07:02

    In der Wilhelma Stuttgart läuft noch bis zum 15. September 2013 die Sonderausstellung “Insektivoren - wenn Pflanzen jagen”. - Hierzu auch der bebilderte Beitrag von Dr. Björn Schäfer: Die Welt der fleischfressenden Pflanzen - Von Fallgruben und Leimruten. In: Wilhelma-Magazin Ausgabe 2, Sommer 2013, S. 8-13.

  • Markus A. Maesel

    // Mär 6, 2014 at 12:39

    Den Karnivoren-Beitrag des Wilhelma-Magazins gibt es jetzt auch online (S. 8-13): http://www.wilhelma.de/fileadmin/images/content/Content_2011-2013/Wilhelma_magazin/16801_Wilhelma_2_2013.pdf

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