SEXUALKUNDLICHES

Klapperstorchs Absturz

von Markus A. Maesel · 01.04.2014 · 1 Kommentar

Der Sexualkundeunterricht hat in die letzte Grundschulklasse Einzug gehalten. Zur Vertiefung des Stoffes sitzt mein Sohn abends am Küchentisch und brütet über einem bedruckten Blatt Papier. „Geschlechtsteile-Rätsel“ prangt mir als Überschrift entgegen. Neugierig und hochinteressiert gesellt sich seine kleine Schwester zu ihm und dem Kreuzworträtsel. Bald schwirren ungewohnte Worte durch das Ess- und Wohnzimmer, bestimmen das Ambiente. Eizellen springen durch den Raum, Penis im Steigflug, Hoden im Sturzflug. Eine Gebärmutter rast auf mich zu. Nur mit Mühe kann ich dem uteralen Geschoß ausweichen. Samenleiter haben sich am Kabel der Deckenleuchte verfangen. Eine Scheide im Gleitflug; eine Eichel und ein paar Schamlippen haben es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht. Auf dem Regal streiten sich Samenzellen, wer von ihnen die schnellste ist. Begehrlich schielen sie auf Eierstöcke, die gerade an der Gardinenstange herumturnen. Fluchtartig schlängelt ein Eileiter den Laminatfußboden entlang. Zum Schluss versucht das gefundene Lösungswort „Geschlechtsorgane“ wie ein Schmetterlingsnetz die entwichenen nackten Tatsachen wieder einzufangen.

Und mitten im sexualkundlichen Getümmel steht beschämt und gedemütigt mit gesenktem Haupt der Klapperstorch. Sein langer Schnabel wirkt viel röter als sonst. Gnadenlos hat die schulische Aufklärungsarbeit Meister Adebar als Hochstapler gebrandmarkt. Nichts mehr mit dem Kinderbringen. Nur noch als neckisches, hölzernes Accessoire an den Häusern Neugeborener wird der Klapperstorch geduldet. „Des Mannes Storch“ als stolze Beschreibung urgewaltiger Gemächte ist zum simplen Dödel verkommen. Den Brunnen, aus dem der Storch einst die Babys schnäbelte, haben Tiefenpsychologen herzlos zur Vagina erklärt. Würde heute ein Klapperstorch eine Frau ins Bein beißen, käme er als Wadenfetischist wegen sexueller Belästigung ins Gefängnis. Warme, sinnliche Metaphorik ist kalter, genitaler Mechanik gewichen. Peniscillin ist zum Allheilmittel unserer Zeit geworden.

Komm lieber Klapperstorch, ich lade dich zum Abschied bei Weißwein und Froschschenkeln ins Gasthaus ein. In diese Beine darfst du noch straffrei beißen. Genieße die Henkersmahlzeit. Denn beim nächsten sexualkundlichen Block an den weiterführenden Schulen wird man/frau mit X- und Y-Chromosomen nach dir schießen oder dich mit einem erdbeeraromatisierten Kondom erdrosseln. Und sie werden johlend mit dem sexualprotzigen Modelikör „Ficken“ (EFAG Trademark Company GmbH & Co. KG) auf dein Ende anstoßen.

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Sonstiges und Undefinierbares, Tierisches und Pflanzliches

1 Beitrag der Leser

  • Holger

    // Apr 4, 2014 at 20:30

    Weiterentwicklung oder Rückbesinnung?
    Das ist hier die Frage, oder sind wir schon zu alt! Denn ohne Entwicklung keine Exsistenz. Keine Entwicklung ist Stillstand, deshalb sollten wir uns stets bemühen vorwärts zu gehen und Kinder die Gegenwart leben lassen und nicht im Gestern.
    Schön humorvoll aber doch tiefsinnig.
    LG Holger Held

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