GECHILLT

Mit Papa allein zu Haus

von Markus A. Maesel · 09.08.2015 · 0 Kommentare

Mama ist nach Indonesien geflogen zur Goldenen Hochzeit ihrer Eltern. Schon Wochen zuvor hat die Tochter deswegen geschluchzt und geweint, allein mit Papa ohne Mama. Hat sie Angst, dass sich das gemütliche Zuhause während Mutterns Abwesenheit in ein Bootcamp und Papa sich in Major Pain verwandelt? Der ältere Bruder ist nach den hektischen mütterlichen Reisevorbereitungen eher genervt und freut sich auf zweieinhalb ruhige Wochen. Ich bin vom Berufspendeln erschöpft und den vielen Bahnstreiks und –pannen zermürbt in den Jahresurlaub gestolpert und sehne mich nach Ausschlafen und Ausspannen im Garten. Und meine Frau ist sicherlich nicht unglücklich, dass ich mein vor einiger Zeit erwachtes Interesse für die Leprageschichte ihrer nordsulawesischen Heimat nicht vor Ort ausleben kann. Die Berge leprakundlicher Literatur auf meinem Nachttisch waren ihr schon bei meinem letzten Schreibprojekt ein Dorn im Auge.

Die beiden Kinder haben mir klar gemacht, dass sie in dieser Zeit „chillen“ wollen. Dieses Unwort hat, wie ich neulich zu meiner Verwunderung gesehen habe, bereits 2004 den Sprung in den Duden geschafft. Abhängen, faulenzen und relaxen ist also angesagt. Das verbinden Sohn und Tochter mit alkoholfreien Cocktails, die sie aus den Bistros rheinland-pfälzischer Jugendherbergen kennen und schätzen. Einen Cocktail-Shaker sowie bunte Trinkhalme und rosafarbene Papierschirmchen hat ihnen bereits meine Cousine verehrt, die sich ebenfalls mit meiner Frau nach Sulawesi abgesetzt hat. Kaum sitzen die beiden Frauen im Flugzeug, schleppt mich mein Nachwuchs gnadenlos mit einer Sammlung Cocktailrezepte durch verschiedene Supermärkte, bis wir wirklich alles beisammen haben: Ananas-, Maracuja- und Orangensaft, Lime Juice, Grenadine, Amaretto- und Granatapfelsirup, außerdem einen Zwei-Kilogramm-Beutel Eiswürfel. Zuhause findet der Shaker ab dem späten Vormittag keine Ruhe mehr. Sicherlich bedingt auch durch die hochsommerliche Hitze an der 40-Grad-Grenze. In der tropischen Heimat meiner Ehefrau sind es fast zehn Grad weniger, wie ich von ihr am Telefon erfahre. Wie wenig Amarettosirup schon einen Cocktail kaputt machen kann!

Ich gebe mich derweilen lieber dem hellen Hefeweizenbier auf der sonnenbeschirmten Terrasse hin. Bei dieser Hitze verdampft das kühlschrankkalte, kupfergoldene, naturtrübe Nass schon beim Aufprall auf Zunge und Gaumen. Drei Wochen kein Omnibus, keine Straßenbahn, kein ICE, keine U-Bahn, keine durchgeschwitzten Mitreisenden, kein Geruch aus halboffenen Klotüren in den Zuggängen, keine heimlichen Dauerpupser in den Abteilen, keine defekten Klimaanlagen. Wie etwas frische Luft und Blumenduft das Leben gleich wieder lebenswerter machen. Bei der zweiten Flasche Weizenbier denke ich an einen Freund, mit dem ich im Schatten des Speyrer Domes schon oft diesem Gesöff gehuldigt habe. Bereits seit Wochen ist er auf der indonesischen Hauptinsel Java ohne einen Tropfen Bier, von Weizenbier wagt er nicht einmal zu träumen. Die indonesische Regierung hat vor einiger Zeit den Verkauf von Alkoholika mit Verbeugung vor den einheimischen Islamisten deutlich erschwert. Bier ist nach dieser religiösen Deutung „haram“ – verflucht und verboten.

Genau genommen müsste auch für regelstrenge Deutsche Weizenbier haram sein. Denn nach dem deutschen oder genauer bayerischen Reinheitsgebot von 1516 darf Bier nur aus Gerste, Hopfen und Wasser gebraut werden. Als der bayerische Herzog aus politischen und finanziellen Gründen 1548 ein Privileg für Weizenbierbrauen nördlich der Donau vergab, war dies der erste große Sündenfall gegenüber dem Reinheitsgebot. Und nun trete auch ich genüsslich das Reinheitsgebot mehrfach mit Füßen, indem ich in mein Hefeweizenbier kalten Granini-Bananensaft einfließen lasse. Schließlich muss ich  als derzeit einziges elterliches Vorbild meinen Kindern vorleben, dass Obst und Vitamine zum täglichen Speiseplan gehören. Und da lasse ich nicht mit mir spaßen.

Kategorie(n): Genüssliches und Anregendes, Geschichtliches und Völkerkundliches, Indonesisches und Manadonesisches, Mobiles und Zugiges

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