DEFLORATION EINER LANDSCHAFT

Saarschleife – Holzbaukunst, Rummel und verlorene Romantik

von Markus A. Maesel · 31.08.2016 · 2 Kommentare

Obwohl ich Pfälzer bin, reise ich gerne ins Saarland. Besonders ist in meinem Gedächtnis und meinem romantischen Erleben der Anblick der Saarschleife vom Aussichtspunkt Cloef bei Orscholz haften geblieben. Das Wahrzeichen des Saarlandes. Aber auch der Blick von der Halbinsel selbst auf die felsigen Hänge mit der Cloef habe ich nicht vergessen. Ruhig und oft dunkel fließt die Saar dahin. Die kleine Personenfähre „Welles“ verbindet die beiden Ufer. Für mich ist die Saarschleife einer der schönsten Anblicke in Deutschland. Vor einiger Zeit sah ich im ICE gar einen Afrikaner im traditionellen Gewand, der die Saarschleife als Bildschirmschoner auf seinem Laptop hatte. Öfter schaue ich mir den Flussbogen auf Youtube an. Das entspannt mich. Zuletzt war ich Anfang dieses Jahrtausends an der Saarschleife, davor nochmals Ende der 1970er-Jahre. Nun habe ich die Möglichkeit, meiner indonesischen Ehefrau und unseren Kindern - neun und zwölf Jahre alt - diesen Sehnsuchtsort zu zeigen. Ich sehe vor meinem geistigen Auge den kleinen Parkplatz, den ruhigen Waldweg zur Cloef; erinnere mich an die Erhabenheit und Stille des Augenblicks, wenn die Saarschleife plötzlich vor einem liegt. Und das alles werde ich mit meiner Familie teilen.

Doch als wir am Ende der schmalen Straße um die Kurve fahren, liegt da plötzlich ein großer, fast voll belegter Parkplatz. Ein Parkscheinautomat begrüßt uns silbrig-kühl. Zwei bogenförmige Gebäude mit dem stolzen Namen „Cloef-Atrium“ bilden das Tor zum Waldweg. Ein geschäftiges Zentrum für Kongresse und Events, mit Touristeninformation, Souvenirverkauf und Biergarten. Wir bahnen uns den Weg durch eine Hochzeitsgesellschaft. Es folgen Spielplätze, ein gerade vor einem knappen Monat eröffneter Baumwipfelpfad durchschneidet auf hohen Stelzen auf einer Strecke von mehr als 1,2 km den Wald. Kurz vor dem Aussichtspunkt Cloef stehen in einer Reihe ein wenig begnadeter Mundharmonika-Spieler, ein Jesus-Mobil mit Schriftenstand, ein Schnaps- und Bratwurstverkauf. Und der alte Cloef-Aussichtspunkt ist von einem über 40 m hohen, halbrunden, hölzernen Aussichtsturm überragt, in den der Baumwipfelpfad mündet. Die erhabene, weihevolle Stille von einst ist Trubel und Event gewichen. Meine Frau und die Kinder stört das nicht. In Indonesien würde der Rummel an einem solchen herausragenden Ort extremer ausfallen. Nur ich tappe irritiert und verloren in der Gegend herum. Bin ich in romantischem Autismus gefangen?

Nun drängt es die begeisterte Familie auf den hölzernen Baumwipfelpfad selbst. Mit zwiespältigen Gefühlen rücke ich die 21,50 Euro für das Familienticket heraus. Der hölzerne Weg steigt sacht bis zu einer Höhe von 23 m auf, bei einer maximalen Steigung von 6% ermöglicht er auch Rollator- und Rollstuhlfahrern uneingeschränkte Teilhabe an diesem Erlebnis. Sitzmöglichkeiten und naturkundliche Stationen, eine Rialtobrücke mit Wackelelementen sowie eine Tunnelrutschbahn laden zum Verweilen ein. Von oben der Blick auf imposante Baumkronen, aber auch auf kahle Stellen am Boden. Ziemlich am Ende des Pfades taucht dann plötzlich, fast unwirklich, der Aussichtsturm in der späten Nachmittagssonne auf - eine imposante Konstruktion aus massivem Lärchen- und Douglasienholz, gewaltigen Brettschichtholzträgern, verbunden durch imposante Metallelemente. Zweifellos eine Meisterleistung des europäischen Ingenieurholzbaus. Kritiker haben den Turm mit der Zufahrt zu einem Parkhaus verglichen. Bei zunehmendem Serpentinenaufstieg eröffnen sich immer spektakulärere Ausblicke. Aus dem intimen Saarschleifenblick von der Cloef ist der alles enthüllende Gesamtpanorama-Blick bis nach Mettlach und Frankreich geworden. Meine Frau dokumentiert alles beeindruckt mit ihrer Smartphone-Kamera. Bald wird via Facebook Indonesien über Holzbaukunst an der Saar staunen.

Und dennoch wirkt der Holzturm auf mich von der Burg Monclair auf der Saarschleife und von den Ufern des Flusses aus als Defloration der Saarschleifenlandschaft. Andere Quengler haben von einer Zerstörung des Panoramas gesprochen, von Schande und Schildbürgerstreich. Wirklich dagegen erhoben hat sich jedoch niemand. Später erfahre ich, wie Baumwipfelpfad und Aussichtsturm aus Sicht der Lokal- und saarländischen Landespolitik wahrzunehmen sind. Der Holzbau sei nach 150 Jahren Geschichte der Cloef eine notwendige „Landmarke“ und eine touristische Aufwertung. Er werde die Verweildauer der Touristen im Kurort Orscholz erhöhen und solle 200000 zusätzliche Besucher pro Jahr bringen. Im Übrigen sei das Projekt eine gelungene Verbindung von Bestehendem und Neuem. Die Betreiber sehen den Aussichtsturm behutsam in die Landschaft eingepasst und halten ihn für einen Hingucker. Und sogar die Naturschutzbehörde und der Naturschutzbund Nabu haben dem Ganzen ihren Segen erteilt. Wer soll da noch zweifeln?

„Moderne Zeiten“ in der Landschaftsromantik. Ich fühle mich wie Charlie Chaplin in dem gleichnamigen Film, jetzt fehlen nur noch die nervösen Zuckungen meinerseits. Nach Verlassen des Baumwipfelpfades setzt die Familie den väterlichen Miesepeter auf eine Holzbank, über der in großen grünen Lettern „Locker bleiben“ prangt.

[Erlebt am 20.08.2016; veröffentlicht auch mit geringen Abweichungen im Holz-Zentralblatt Nr. 34 vom 26.08.2016, S. 823: Naturerlebnis – oder doch mehr „Event-Location“? Baumwipfelpfad mit Aussichtsturm an der Saarschleife – über Holzbaukunst, Rummel und verlorene Romantik].

Romantischer Blick vom alten Aussichtspunkt Cloef auf die Saarschleife bei Mettlach – Fotos: Markus A. Maesel

Über der Cloef thront seit Kurzem ein 42 m hoher Aussichtsturm.

Der Holzbau vom dazu gehörenden, ebenfalls neuen Baumwipfelpfad aus gesehen

Politik und Betreiber sehen in dem Bauwerk keine Störung des Landschaftsbildes.

Ausverkauf der grandiosen Saarschleifenlandschaft – der Autor versucht vergeblich locker zu bleiben

Kategorie(n): Gesellschaftliches und Wirtschaftliches, Kurpfälzisches und Südwestdeutsches

2 Beiträge der Leser

  • Helga

    // Sep 5, 2016 at 20:22

    Danke Markus,
    dank dir bleibe ich mal lieber bei meinen Erinnerungen. Schade …
    Liebe Grüße
    Helga

  • Manuela Maron

    // Sep 15, 2016 at 16:04

    Hallo Markus,

    ich kenne die Cloef seit meiner Kindheit, da meine Eltern aus der Gegend stammen. So habe ich es auch noch nicht gesehen, außer auf Fotos und da gefällt es mir ganz und gar nicht. In ein paar Tagen bin ich wieder dort, dann laß ich mich mal überraschen.

    Auf diese Seite schaue ich täglich und dort sieht es aus wie immer, außer in der Abendsonne wenn man den Schatten des Turmes sieht: http://www.webcam-saarschleife.de/cloefcam.aspx

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