BAHNOPFER

Novemberschienen

von Markus A. Maesel · 30.11.2017 · 1 Kommentar

Mein November scheint nur noch aus Schienen zu bestehen. Straßenbahnschienen, Schnellbahntrassen, Bimmelbahnschienen, U-Bahnschienen. Im Morgen- und Abenddunkel, stundenlang. Sie laufen nebeneinander, kreuzen sich, schweben durch Brücken übereinander, regennass glänzend im fahlen Neonlicht der Bahnanlagen. Die Züge, die auf ihnen entlang rasen oder ruckeln, haben ihr Eigenleben entwickelt, das sie gegen den Störfaktor Mensch behaupten. Sie kommen in der Reihenfolge, die ihnen gefällt, in den Bahnhof. Blockieren ihre Türen und Toiletten nach Lust und Laune, lassen die Bistrotechnik versagen und verweigern den Störenfrieden, die unverschämterweise von A nach B wollen, den stärkenden Kaffee. Die Ego-Züge stellen die Bahnbediensteten hinter den Lautsprechern bloß, indem sie höhnisch quietschend immer genau das Gegenteil zur Ansage bieten. Der Abendzug versagt total, Massenansturm auf den nächstkommenden Zug. Dankbarkeit für einen Stehplatz, kaum noch Abstand zu den Mitstehern. Wenn der ICE jetzt bremst und ich auf meine Nachbarin falle, stehe ich morgen auf #metoo. Hoffentlich bekommt jetzt niemand in der Sardinenbüchse Blähungen, Angst vor unkontrollierbaren Kettenreaktionen. Wann erschallte eigentlich der Urfurz nach dem Urknall? Waren beide gar identisch? Gemeinsam einsame Grippeschniefnasen in Zuggängen. Ist „Stand by me“ das Lied der Stunde?

Kategorie(n): Mobiles und Zugiges

1 Beitrag der Leser

  • Peter Beerhalter

    // Dez 1, 2017 at 09:59

    Mein November scheint nur noch aus Straßen zu bestehen. Landstraßen, Schnellstraßen, Umgehungsstraßen, Autobahnen. Auch sie laufen nebeneinander, kreuzen sich, schweben durch Brücken übereinander, regennass glänzend im fahlen Licht der Scheinwerfer.

    Die Fahrzeuge sind zu Stehzeugen degeneriert. Der Abstand zu den Mitstehern ist denkbar gering, dennoch keine Aussicht auf Kontakt zu einem Mitsteher. Blähungen rufen keine Kettenreaktion hervor. Jeder ist allein.

    Im Autoradio läuft das Lied der Stunde: “Stand by me”. Ein schöner Stehblues…

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