VERMENSCHLICHTES

Hoppels Rache

von Markus A. Maesel · 06.05.2008 · 2 Kommentare

Frühmorgens sitze ich im Halbschlaf in der Stuttgarter U-Bahn, den Kopf an die Fensterscheibe gelehnt. Der Triebwagen donnert durch den Tunnel vom Bopser in Richtung Degerloch. Die Frau, die am Hauptbahnhof neben mir Platz genommen hat, erzählt einer Arbeitskollegin, dass sie mit ihren „beiden Kleinen“ beim Arzt gewesen sei. Kein spektakuläres Thema, aber als Vater von Kleinkindern werde ich automatisch etwas wacher. Die „Kleinen“ seien unruhig im vollen Wartezimmer geworden. Ich nicke innerlich verständnisvoll, zweifellos ein nervenaufreibendes Szenario. Dann sei im Sprechzimmer des Arztes der Behandlungstisch nicht so sauber gewesen. Solidarisch schüttelt es mich vor diesen unhaltbaren hygienischen Zuständen. Der Doktor habe die „Kleinen“ gewogen und geimpft. Mitfühlend denke ich an die Spritzenaversion meines eigenen Nachwuchses. Und dann habe der Arzt ihnen noch die Zähne geschnitten. Jetzt werde ich hellwach und entnehme dem weiteren Gesprächsverlauf, dass es sich bei den vermeintlichen lieben Kinderchen um zwei Kaninchen handelt.

Hoffentlich hat die Frau in ihren Vermenschlichungstendenzen für die beiden Nager rechtzeitig Kindergeld beantragt, denke ich zunächst spöttisch. Doch dann spüre ich in den dunklen Abgründen meiner Seele hoppelnde Erschütterungen. Schuldgefühle, an denen aufrecht stehende Kaninchenohren prangen, drängen an das noch junge Tageslicht und schlagen munter ihre Haken in meinem Bewusstsein. „Die spanischen Senfkaninchen“, erschrecke ich. Wie habe ich einst lustvoll ihre abgezogenen Körper zum Marinieren in Buttermilch gelegt, nachdem ich ihnen zuvor gefühllos das Brustbein der Länge nach aufgeschnitten hatte. Wie habe ich Salz und Pfeffer in ihre geschundenen Leiber gerieben; ihren Körpern den letzten Hauch von Natürlichkeit genommen, indem ich sie innen und außen mit Senf beschmierte. Und zuletzt die Prise Thymian, die höhnisch auf sie herabfiel.

Wie habe ich sie pietätlos in den blauschwarzen Bräter mit kaltem, glitschigem Olivenöl gleiten lassen. Statt Kränzen und Blumen zum Abschied wurden ihnen in Würfel geschnittener Schinkenspeck, grob gewürfelte Zwiebeln, ein Lorbeerblatt, ein Rosmarin- und ein Petersilienzweig beigelegt. Statt in den Muffelofen eines qualifizierten Tierbestatters landeten sie bei 200 Grad in meinen vorgeheizten Backofen. Zwischen 50 und 60 Minuten durchlitten sie den letzten Akt ihres postmortalen Martyriums. Ihre Qualen wurden nur kurzzeitig gelindert, wenn sie mit Weißwein abgelöscht wurden. Wie stand ich ungeduldig und erwartungsvoll, dekadent ein Glas desselben Weines schlürfend, vor dem Backofen und weidete mich am Anblick des goldbraun werdenden Fleisches; gierig sog ich dessen aromatischen Geruch in mich auf. Mit welchem Genuss vermischte ich zu guter Letzt den Bratenfond mit Crème fraîche und reduzierte ihn bei starker Hitze zu einer sämigen Soße. Hingebungsvoll und mit knurrendem Magen goss ich sie über die tranchierten Gebeine meiner Opfer.

Das alles geschah unbemerkt hinter der Fassade kleinbürgerlicher Wohlanständigkeit einer deutschen Vorstadt. Einfach schändlich solch eine atavistisch-neandertaloide Fleischeslust im aufkeimenden vegetarisch-veganischen Zeitalter. Ich erschaudere – mein Körper ist ein Kaninchenfriedhof! Welche Frau möchte schon gerne ihr Leben neben einer Tierkadaverbeseitigungsanstalt verbringen? Oder gar mit einem solchen Mann … - ich wage es nicht weiterzudenken. Wie habe ich meinen Körper missbraucht, der durch ein lauteres, den Kohlehydraten geweihtes Leben hätte veredelt werden können. Wie würde die Frau mit ihren beiden adoptierten Karnickel mich verachten, wenn sie von meiner Gier nach hoppelnden Proteinen wüsste. „Mörder“ würde es durch die U-Bahn hallen. Angeekelt von mir selbst verlasse ich in Leinfelden das Verkehrsmittel. Ich werde mit Schokohasen auf Entzug gehen – Lindt-Goldhasen statt mümmelndes Sachsengold.

Kategorie(n): Genüssliches und Anregendes, Makaberes und Skurriles, Tierisches und Pflanzliches

2 Beiträge der Leser

  • Anne Bünger

    // Jul 9, 2008 at 09:23

    Das bist Du, wie ich Dich am liebsten mag!
    Gruß Anne

  • Helga Moll

    // Jul 9, 2008 at 13:34

    Dein Beitrag macht hungrig.
    Gruß Helga

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