Alle zwei bis drei Jahre befallen mich Gefühle von Unruhe, Enge, innerer Austrocknung und Vergrauung. Die Melancholie, die die heimische Gartenstadt oft bei mir auslöst, wird dann unerträglich drückend. Fernweh lautet jedes Mal die Diagnose, das wie eine Malaria meinen Körper durchschüttelt. Es steigert sich zur Unzufriedenheit, gegen die ich zunächst anträume.
Als Jugendlicher brütete ich in diesem Zustand monatelang über Landkarten; stellte mir vor, welche Panoramen und Abenteuer sich hinter den abstrakten Linien verbargen, bis ich mich in den Ferien aufs Fahrrad schwang und für einige Wochen die Weite suchte und fand.
Später saß ich bei Fernweh viele und lange Abende im Wohnzimmer mit Blick auf den alten, hölzernen Kleiderschrank, in dem der CD-Player stand. Darüber hing an der Schrankwand ein angeleuchtetes Selbstporträt Frida Kahlos, die meine Schutzpatronin für einsame Stimmungen war. Ohne Unterbrechung ließ ich Schmalztenor Beniamino Gigli „La Paloma“ schmettern, auf seinen gesungenen Wellen trieb meine Sehnsucht nach und in ferne Welten. Abgefedert wurde die dabei verstärkt aufsteigende Melancholie mit einem Glas weißen Delaforce-Portwein in der einen Hand und einer Zigarre der Marke Upas Antiares Nr. 1 (Haas & Derst) in der anderen. Und irgendwann packte ich meinen Rucksack und verschwand für längere Zeit in den Tropen.
Überfällt mich heutzutage das Fernweh in seiner ganzen Erbarmungslosigkeit, stehle ich mich in den Garten und suche Blickkontakt zu meinem Kunstharz-Buddha, der ebenfalls unter dem Feigenbaum von entfernteren Gefilden träumt. Doch bevor er mich zu den goldenen Pagoden Südostasiens oder auf das Dach der Welt entführen kann, schallt eine Stimme aus dem Hintergrund: „Markus, wo bist Du denn schon wieder? Deine Tochter hat einen barbarischen Stinker in der Hose. Könntest Du ihr bitte schnell die Windel wechseln?!“ Der Duft der großen weiten Welt weht heute von woanders her.
Noch keine Beiträge der Leser
Hinterlassen Sie einen Kommentar