CORONAVIRUS

Klopapier als Spiegel der deutschen Seele

von Markus A. Maesel · 28.03.2020 · 2 Kommentare

Vorgestern in der Ludwigshafener Stadtmitte, früher Nachmittag. Die Quarantänebestimmungen gegen das Coronavirus scheinen zu greifen, nur wenige Menschen sind unterwegs. Nicht wenige der Wenigen schleppen gigantische Klopapiervolumen durch die Fußgängerzone, der Discounter Netto hat gerade den „XXL Pack“ auf den Markt geworfen. Ein Opiat gegen die Hamsterkäufe der letzten Tage, Seelenbalsam für weltuntergangsgeile, analfixierte Prepper. Sicherheit in der zuhause aufgebauten Klopapierburg; gegen ein Virus, das sich nachweislich für geschwächte Lungen und nicht für deutsche Darmausgänge interessiert. Die bundesdeutsche Angstscheißerei trieb in den letzten Wochen den Absatz von Toilettenpapier um 700 Prozent in die Höhe.

Gestern Abend bei Aldi: Nudeln, Kartoffeln und Reis sind keine Lustobjekte der coronaviralen Endzeit mehr. Letzte Woche waren nur noch Vollkornspaghetti zu haben. So gesund wollten die Hamsterer nun auch nicht auf die Apokalypse warten. Allerdings war gestern trotz Mengenbeschränkungen das Klopapier wieder bis auf den letzten Packen ausverkauft. Anscheinend rächen sich die gehorteten Dosenravioli inzwischen mit Durchfall und die in Dosenlinsen schlummernden Fürze zerfetzen die Hämorrhoiden ihrer Esser.

Aber letztendlich ist es kein Wunder, dass Klopapier dem Deutschen Schutz und Zuversicht in der Katastrophe gibt. Bereits 1985 stellte der US-amerikanische Anthropologe Prof. Alan Dundes anhand vieler Sprachbeispiele fest, dass „der deutsche Nationalcharakter, unverändert seit Jahrhunderten, ein ausgeprägter Analcharakter“ sei. In dieser „Analität“ seien die Deutschen weltweit einzigartig. Deshalb gibt es in der Krisenbewältigung Toilettenpapier für die Deutschen und Kondome für die Franzosen. Letztere wissen, wie der reißende Absatz von Lümmeltüten bezeugt, ihre Quarantänezeit sinnvoller zu nutzen.

Luther hätte selbst vor einem Sieg des atem- und verstandraubenden Coronavirus noch ein Apfelbäumchen als Zeichen der Hoffnung und des Widerstands gepflanzt. Mit aufrechtem Gang wäre er vor den Thron des Schöpfers getreten. Vor einem Richterstuhl mit Klopapierpacken unter dem Arm zu erscheinen, wirkt dagegen immer lächerlich. Zudem schaut Gott beim Jüngsten Gericht auf das reine Herz und nicht auf den sauberen Arsch.

[Quelle: Nationalcharakter. Zwanghafte Neigung. In: Der Spiegel vom 4.03.1985].

Kategorie(n): Geschichtliches und Völkerkundliches, Gesellschaftliches und Wirtschaftliches

2 Beiträge der Leser

  • Helga

    // Mär 28, 2020 at 17:18

    Toll, Markus ist mit einem bissigen Kommentar wieder zurück. Ich freue mich auf weitere Beiträge.
    Helga

  • Anne Bünger

    // Mär 28, 2020 at 20:30

    Es geht also wieder weiter mit dem sarkastischen Humor! Was bin ich froh!
    Hab’s richtig genossen. Es muss einem halt einfallen. Herzlichen Glückwunsch!

    Anne

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