VERLETZTES MANNSBILD

Krippenspiel in vier Szenen

von Wolfgang Baumgärtner · 19.12.2015 · 1 Kommentar

Personen

Maria, Joseph, Jesuskind, ein Herumtreiber, zwei Hirten, drei Fremde, ein Ochse, ein Esel, eine Taube, ein Komet

1. Szene

Maria, Herumtreiber

HERUMTREIBER War’s für dich auch schön?

MARIA schnurrt zufrieden

HERUMTREIBER nimmt eine Zigarette vom Nachtisch, raucht
Sag mal, wie heißt du eigentlich?

MARIA Ich heiße Maria, und du?

HERUMTREIBER Nimmt einen Zug von seiner Zigarette
Schöner Name, Maria.

MARIA Lass mich auch mal ziehen. Mein Herumtreiber.

2. Szene

einige Monate später

Joseph, Maria

JOSEPH Maria, gibt es etwas, das du mir sagen möchtest?

MARIA schweigt

JOSEPH blickt auf Marias gewölbten Bauch, mahnend:
Maria!

3. Szene

erneut einige Monate später, auf freiem Feld, etwas entfernt ein alter Viehstall

zwei Hirten

HIRTE 1 Sieh mal, da ist wieder dieser komische Stern.

HIRTE 2 blickt zu Boden

HIRTE 1 Na, da am Himmel, zum Himmel sollst du schauen, Mann. Ans Firmament. Der war schon zu sehen, als wir vor ein paar Tagen hier waren.
Ob der wohl schon die ganze Zeit hier seine Kreise zieht?
Irres Licht, findest du nicht auch?

HIRTE 2 nimmt einen Schluck aus der Flasche

HIRTE 1 Weißt du, was das ist? Das ist ein Komet, verstehst du, ein Komet. So eine Art Weltraummüll, der durchs All saust.
Und irgendwann – schwupp – zerbröselt der und weg ist die ganze Herrlichkeit. Verglüht einfach so oder entmaterialisiert sich, was weiß ich. Vielleicht gibt’s da auch so was wie schwarze Löcher im Universum, wo der dann reinstürzt. Schwarze Löcher, versteht du, Antimaterie, das kosmische Bermudadreieck. Das große Nichts.

Nach einer Pause, nachdenklich
Mannomann, Sternenforscher müsste man sein, Astrologe oder so, versteht du.

HIRTE 2 nimmt einen Schluck aus der Flasche

HIRTE 1 Stell dir vor, was für komische Typen hier herumlaufen.
Heute fragten mich ein paar Kerle, ob ich was von einer heiligen Familie wüsste, die es hier irgendwo geben soll. Was weiß ich denn, wer in dieser gottverlassenen Gegend hier wohnt.
Wahrscheinlich waren das irgendwelche Esoteriker, haben aber behauptet, sie seien Könige von irgendwo. Nach Staatsbesuch haben die aber nicht gerade ausgesehen, mein lieber Scholli. Deren Reich ist sicher nicht ganz von dieser Welt. Von hier waren die jedenfalls nicht. Ich glaube, das waren Araber, und einer war ganz schwarz. – Na ja, solange sie keine Sprengstoffgürtel unterm Gewande tragen, soll’s mir recht sein. Diese Spinner. lacht

HIRTE 2 nimmt einen Schluck aus der Flasche

HIRTE 1 Weißt du was die noch gesagt haben? Dieser Komet da, der sei ein „Zeichen“. Da, wo der hin scheint, also wo der Widerschein seines Lichts auf den Erdboden trifft, verstehst du, da soll irgendwas Besonderes passieren. Im Moment scheint er bloß auf den alten Stall da. Ich möchte ja mal wissen, was für eine Attraktion da sein soll.

HIRTE 2 Der Bierkasten.
nimmt einen großen Schluck aus der Flasche, trinkt sie aus
Ich hol’ mir mal eines. Willst du auch eins?

HIRTE 1 Hast du da etwa auch was gebunkert?
Na, dann bring mir eins mit.

HIRTE 2 erhebt sich, geht in Richtung Stall

HIRTE 1 So ein schöner Sternenhimmel.

4. Szene

im Stall

Joseph, Maria, das Jesuskind, ein Hirte, drei Fremde, ein Ochse, ein Esel, eine Taube

JOSEPH Trautes Heim, Glück allein. So weit haben wir’s nun gebracht – in einem Stall muss unser Kind zur Welt kommen. Aber was heißt hier eigentlich „unser“.
Wenigstens Bier gibt’s hier. Wenn’s auch bloß Öttinger ist. Wo das wohl herkommt? Wahrscheinlich vom heiligen Geist. lacht grimmig

MARIA Das habe ich dir ja schon hundertmal gesagt.
Glaubst du mir nun endlich?

JOSEPH Ich meinte das Bier, das göttliche Manna.
Wie soll er eigentlich heißen, dein Balg?

HIRTE 2 betritt den Stall, erschrocken Jessasmariaundjoseph!

JOSEPH Warum nicht gleich Karl-Theodor-Maria-Nikolaus-Johann-Jacob-Philipp-Franz-Joseph-Sylvester? Ein Name reicht. Meinetwegen, soll er halt Jesus heißen.

HIRTE 2 blickt irritiert zum Futtertrog, wo das Jesuskind liegt

JOSEPH Noch nie ein Kind gesehen, oder was?

HIRTE 2 nimmt zwei Flaschen Öttinger aus dem Kasten und verlässt den Stall

JOSEPH Tür zu, hier wohnen Leute! Pack!

Durch die Tür flattert eine Taube und watschelt im Stall umher

JOSEPH betrachtet nachdenklich die Taube. Die Taube trägt die Gesichtszüge des Herumtreibers
versonnen Tauben.
Zieht einen Dolch aus dem Gewand

MARIA Was willst du mit dem Dolche? Sprich!

JOSEPH stürzt sich auf die Taube, verfehlt sie

MARIA Mein Gott, Joseph, bist du von Sinnen?

JOSEPH Von Sinnen?
zum Ochsen sprechend Du mein gehörntes Ebenbild, was meinst du? Bin ich von Sinnen? Die Dame steigt mit jedem x-beliebigen Herumtreiber in die Kiste und legt mir ihren Bastard in den Trog. Wie sollte man da nicht von Sinnen geraten?
zu Maria, drohend Doch keine Bange, nie sah ich so klar wie eben jetzt. Der Gast im Hause erspart den Zimmermann, was?

JESUSKIND Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.

JOSEPH Einen schönen Klugscheißer hast du mir da untergejubelt. Warte nur.

blickt zum Dolch, der auf dem Boden liegt

MARIA Joseph, mein Gemahl, versündige dich nicht.

ein Streit zwischen beiden erhebt sich, Stimmengewirr

JESUSKIND Vater, vergib Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.

JOSEPH plötzlich verzückt Vater! Er hat Vater gesagt.
eilt zum Futtertrog, fällt auf die Knie Mein Sohn.

MARIA Er hat nicht dich gemeint, Joseph.

In der Tür erscheinen drei Fremde

Vorhang

[Gastautor Wolfgang Baumgärtner hat Germanistik und Volkskunde studiert. Er lebt in der Nähe von Stuttgart].

Kategorie(n): Heiliges und Unheiliges

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